Dies sagte sie voller Dankbarkeit, deutete aber auch an: Vereinnahmen lässt sie sich nicht. Müller erhob zudem Vorwürfe gegen die Evangelische Kirche.
Laudatio von Ilija Trojanow
Vor knapp 1.000 Gästen in der bis auf den letzten Platz gefüllten Paulskirche wurde Müller für ihr jüngstes Werk "Atemschaukel" geehrt. Darin schildert sie die Deportation eines Rumänien-Deutschen in ein sowjetisches Arbeitslager nach 1945. Der Roman beruht vor allem auf Erzählungen des deportierten und im Jahr 2006 gestorbenen Schriftstellers Oskar Pastior. Sein Bruder Peter saß am Sonntag unter den Zuschauern, wie auch einige Überlebende sowjetischer Arbeitslager.
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Die bewegende Laudatio auf die zierliche Frau, die wie gewohnt ganz in Schwarz gekleidet war, hielt der Autor Ilija Trojanow. Er war als Kind mit seiner Familie aus Bulgarien geflohen. Statt einer großen Dankesrede las Müller aus der "Atemschaukel" vor. Zugleich erklärte sie aber auch, dass Funktionsträger der Landsmannschaft mit dem rumänischen Geheimdienst Securitate gegen sie zusammengearbeitet hätten.
Vom Evangelischen Kirchentag ausgeschlossen?
Seit kurzem beschäftige sie außerdem die Frage: "Was ist mit der evangelischen Kirche in Rumänien?". Im Jahr 1989 habe man sie und ihren damaligen Mann auf rumänischen Druck vom Deutschen Evangelischen Kirchentag ausgeschlossen, dies belege die Tonband-Aufzeichnung eines Telefonats, die ihr seit kurzem vorliege, sagte die Nobelpreisträgerin. Damals habe man sie kurzfristig mit der "merkwürdigen Begründung, sie sei nicht evangelisch, sondern katholisch" ausgeladen.
Der mit 10.000 Euro dotierte Preis, der alle zwei Jahre vergeben wird, ist nach dem jüdischen Schriftsteller Franz Werfel (1890-1945) benannt. Preisträger 2007 war der ungarische Autor György Konrad.
"Hingabe und Mut"
Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, sagte: "Herta Müllers jüngstes literarisches Werk trägt das in breiter Masse unbekannte Schicksal der in sowjetische Lager verschleppten Deutschen in das Licht der Öffentlichkeit." Sie erinnerte an die rund 80.000 "Volksdeutschen", die in Lager der Roten Armee deportiert worden seien. Steinbach betonte, dass die Jury-Entscheidung bereits vor der Bekanntgabe des Nobelpreises für Müller gefallen war.
Der in Wien lebende Trojanow ("Der Weltensammler") stellte in seiner Laudatio heraus, wie Müller in ihrem Werk zur Verteidigung der Menschenrechte beiträgt. "Ich möchte neben ihrer Dichtkunst auch ihre Hingabe und ihren Mut preisen, in fester Überzeugung, dass ihre Stimme sowohl für unser Verhältnis zur Vergangenheit als auch die Vision einer würdevolleren Zukunft unabdingbar ist." Tote unterlägen keinen Menschenrechten. Müller sei "jemand, der sich unbeugsam die Aufgabe gestellt hat, die Verstummten zum Wort zu erwecken".
Eintrag in das "Goldene Buch"
Ob unter den Nazis oder den Stalinisten, im Osten des Kontinents habe es mehr Opfer als anderswo gegeben, mahnte Trojanow. "Im Osten fallen Erinnerungen und Geschichtsschreibung weiterhin auseinander", betonte er. "Die gealterten Mörder pflücken heute Pflaumen in ihren Sommergärten. Dagegen steht nur das gemahnende Wort."
Zuvor hatte sich Herta Müller, die sich im Blitzlichtgewitter sichtlich unwohl fühlte ("Ich bin jetzt sehr müde. Ich kann keine Interviews mehr geben."), in das Goldene Buch der Stadt Frankfurt eingetragen. Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) würdigte sie mit den Worten: "Seit Albert Schweitzer ist wohl kein Nobelpreisträger stärker im geistigen Leben unserer Stadt verankert als Herta Müller. (...) Die Frankfurter kennen Herta Müller, und schätzen sie."