Luthers Rechtfertigungslehre - Eine Chronologie
Mit der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre haben Katholiken und Lutheraner vor zehn Jahren einen Jahrhunderte alten theologischen Streit beendet. Martin Luthers Lehre von der Rechtfertigung des Menschen vor Gott löste Anfang des 16. Jahrhunderts die Kirchenspaltung in Europa aus. Die Kernthese besagt, dass sich der Mensch das Seelenheil nicht verdienen kann, sondern aus Gottes Gnade geschenkt bekommt. Die reformatorische Lehre von der Rechtfertigung ist heute nicht mehr kirchentrennend. Eine Chronologie.

Vor genau zehn Jahren, am Reformationstag 1999, unterzeichneten hochrangige Vertreter des Vatikan und des Lutherischen Weltbunds in Augsburg die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Damit hoben die Kirchen ihre gegenseitigen Lehrverurteilungen aus der Reformationszeit auf. Um das Papier, das als Meilenstein der Ökumene bewertet wird, war mehr als 30 Jahre lang gerungen worden.

Obwohl Kirchenleitungen das Dokument als wichtigen Schritt auf dem Weg zur Einheit der Kirche bezeichnen, ist es nach wie vor umstritten. Über 250 evangelische Theologieprofessoren hatten in einem Votum gewarnt, mit der Annahme akzeptierten die lutherischen Kirchen katholische Lehraussagen. Zur Klärung der Irritationen wurde ein Zusatztext verfasst, die so genannte Gemeinsame offizielle Feststellung.

Die Geschichte der religiösen Idee von der Rechtfertigung allein durch den Glauben beginnt mit dem Apostel Paulus vor fast 2.000 Jahren. Hier eine Chronologie:

Mitte des ersten Jahrhunderts: Paulus schreibt im Römerbrief, einem Kerntext der Bibel, Gott biete dem fehlerhaften Menschen seine Gnade ohne Bedingungen an: "So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben."

Der Kirchenvater Augustinus (um 354-430) spitzt die Gedanken von Paulus zu: Der Mensch kann nichts aus eigener Kraft zu seiner Erlösung beitragen. Wer die Gnade Gottes empfängt, bleibt das Geheimnis Gottes, bilanzierte der Bischof an seinem Lebensende.

Thomas von Aquin (um 1225-1274), Denker und Theologe, vermittelt zwischen Extrempositionen: Gott schenkt Menschen die Freiheit, sich Verdienste um ihr Seelenheil zu erwerben. Rechtfertigung wird zu einem kreativen Prozess, an dem der Mensch aktiv mitwirken kann.

In der Volksfrömmigkeit des Mittelalters tritt eine von der Kirche geförderte Lohn-Leistungs-Ethik in den Vordergrund. Christen hoffen darauf, sich durch gute Werke wie Wallfahrten, Heiligenverehrung oder Almosengeben einen Platz im Himmel sichern zu können.

Im Spätmittelalter kommt es auf Grund des wachsenden Bildungsstands zu immer mehr Beschwerden gegen die Kirche. Beklagt wird die Kluft zwischen kirchlicher Praxis und biblischer Botschaft. Auf Kritik stößt vor allem der Ablasshandel, mit dem Rom gegen Geld, das vor allem für den Bau prächtiger Kirchen verwendet wurde, Menschen von ihren Sünden losspricht.

Martin Luther (1483-1546) veröffentlicht im Jahr 1517 seine 95 Thesen. Um sich Verdienste vor Gott zu erwerben, seien keine guten Werke nötig, erklärt Luther unter Berufung auf Paulus. Die Gnade sei ein Geschenk Gottes, das "allein der Glaube" bewirke. Man könne Gott nicht bestechen, als wäre er "ein Trödler und Tagelöhner, der seine Gnade und Huld nicht umsonst geben wollte". Luthers Lehre verbreitet sich in Europa und löst die Reformation aus.

Das Konzil der katholischen Gegenreformation in Trient verurteilt 1547 die Thesen Luthers. Zur Erlösung seien sowohl der Glaube als auch "gute Werke" nötig. Dennoch deckt sich die katholische Rechtfertigungslehre weitgehend mit der protestantischen Position. Allerdings wird im Katholizismus die Rolle der Kirche als Mittler zwischen Gott und den Menschen durch Abendmahl oder Beichte betont.

16. bis 20. Jahrhundert: Vor allem die Rechtfertigungslehre markiert weiterhin die Grenze zwischen Katholiken und Protestanten.

Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) öffnet sich die katholische Kirche der Ökumene.

1967: Beginn des offiziellen internationalen lutherisch-katholischen Dialogs.

1972: In Malta stellt eine lutherisch-katholische Studienkommission einen weitgehenden Konsens in der Rechtfertigungslehre zwischen Katholiken und Protestanten fest.

März 1994: Der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen und der Lutherische Weltbund legen einen ersten Entwurf der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre vor. Es folgen weitere Entwürfe 1994 und 1996.

Januar 1998: In einem Votum warnen mehr als 140 deutschsprachige evangelische Theologieprofessoren vor der Unterzeichnung des Papiers. Es gebe keinen "Konsens in Grundwahrheiten" widersprechen sie dem Vatikan und dem Lutherischen Weltbund. Zudem wird eine Verwässerung des lutherischen Bekenntnisses befürchtet. Bis Ende 1999 schließen sich fast 250 Professoren dem Protestschreiben an.

Juni 1998: LWB-Rat stimmt der Gemeinsamen Erklärung zu. In einer Antwortnote bejaht die römisch-katholische Kirche zwar grundsätzlich, dass ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre besteht. Zur Rücknahme von Lehrverurteilungen aus der Reformationszeit nimmt die katholische Kirche jedoch nicht Stellung.

Ende 1998: Fortbestehende Irritationen sollen mit einem Zusatztext zur Gemeinsamen Erklärung ausgeräumt werden, der so genannten Gemeinsamen offiziellen Feststellung.

Oktober 1999: Feierliche Annahme der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre: Die Gemeinsame offizielle Feststellung wird von LWB-Präsident Christian Krause und Kardinal Edward Cassidy, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, sowie weiteren Kirchenrepräsentanten unterzeichnet.

September 2000: Die vatikanische Glaubenskongregation unter Kardinal Joseph Ratzinger bescheinigt in der Verlautbarung "Dominus Iesus" den Kirchen aus der Reformation, sie seien nicht Kirchen "im eigentlichen Sinn". Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sieht in dem Papier einen "Rückschlag für die Ökumene".

Juli 2007: In einer Erklärung über die Einzigartigkeit der katholischen Kirche erneuert der Vatikan die Positionen von "Dominus Iesus". Dieser Text stößt auf Kritik in der EKD.

epd