Nedko Solakov "Emotions (without masks)"
In einer Zeit, in der bereits im Mittagsfernsehen kopulierende Liebespaare gezeigt werden, alles über das Internet abrufbar ist und die tägliche Reizüberflutung enorme Ausmaße angenommen hat, ist es durchaus erstaunlich, dass eine Kunstausstellung für so viel Wirbel sorgen kann wie "Emotions (without masks)" von Nedko Solakov auf der Mathildenhöhe in Darmstadt.
30.10.2009
Von Claudia Hahn und Andreas Reinwart

Denn der bulgarische Künstler von Weltrang hat für eine faustdicke Überraschung gesorgt: Anstatt das ursprünglich geplante Ausstellungskonzept auf der Tournee ein drittes Mal zu installieren, hat er den radikalen Entschluss umgesetzt, die Werke in ihren Kisten verschlossen zu belassen. Ein Paukenschlag.

Doch das Publikum bekommt natürlich mehr zu sehen als nur große verschlossene Transportkisten: eine einzigartige Ausstellung, die es so vielleicht nie wieder geben wird.

Das Spiel mit Licht und Schatten

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Beeindruckt von der Raumatmosphäre und der Lichtsetzung der vorherigen Ausstellung entschloss sich Nedko Solakov bei seiner Vorbesichtigung der Mathildenhöhe Darmstadt kurzerhand dazu neue Stücke zu schaffen und so das gesamte Ausstellungsgebäude zu einem Kunstwerk zu machen.
Überall finden sich minimalistische Zeichnungen und Kommentare, kleine Wesen und äußerst humorvolle Bemerkungen, die Solakov mit Filzstiften überall dort angebracht hat, wo ihn die Ausstellungsarchitektur der vorhergehenden Masken-Ausstellung zu einem Einfall gereizt hat.
Der Künstler nutzt die bestehende Einrichtung der Räumlichkeiten mitsamt ihren leeren Vitrinen, Sockeln, Nägeln, Krümeln und dem Scheinwerferlicht, aus dem die ursprünglichen Objekte bereits fast alle ausgezogen sind. Zwischen all diesen stillen Helfern, derer es bedarf um in einer feierlich-opulenten Schau die Kunstwerke idealerweise in Szene zu setzen, spannt Solakov seinen Kosmos der Geschichten und Empfindungen auf. Vorgefasste Erwartungen führt er dabei hinters Licht. Denn genau dort, im Spiel von Licht und Schatten, im Spot des Scheinwerfers und in der Dunkelheit, in den Nischen und versteckt hinter breiten Sockeln oder neben und unter den Vitrinen, finden sich die Wesen und entspinnen sich ihre Geschichten mit ihrer Wirkung auf den Betrachter. Dort sieht man kleine Gestalten leben und sterben, man sieht sie Wut und Trauer, Lust und vielleicht Glück, sicherer aber Langeweile und Scheitern erleben.

Diese verstreuten Geschichten sprechen das Empfindungsvermögen der Besucher unvermittelt an: sie adressieren an dessen intuitives Verstehen und die Fähigkeit des Mitfühlens, kurz: an dessen Emotionen. Das hohe Maß an Reaktivem, das die Installation prägt, ist auch für deren Rezeption notwendig. Nedko Solakov führt uns mit seinen Bildern und Worten durch den Raum und das ein oder andere Mal auch an der Nase herum.

Emotionaler Minimalismus

Er schafft aus dieser eigentümlichen und normalerweise unsichtbaren Welt der Hilfsmittel, die von den Mühen berichten, die sich hinter glänzend repräsentativen Fassaden verbergen, eine eigene, mystische Welt. Der Besucher wird zum Suchenden und Entdecker, den der Künstler ein Stück auf seinem Weg der Eroberung der Ausstellungsräumlichkeiten mitnimmt, den er aber entlässt, bevor sein Kosmos voller Widersprüche, Paradoxien, Ironie, Humor und erheiternden Geschichten endgültig entschlüsselt werden kann. Mithilfe der kleinen Figuren und den Kommentaren, die das Wirken des Künstlers unmittelbar zu bannen scheinen, ohne aber die Bedeutungsschwere ihres eigenen Daseins bereits realisieren zu können, reflektiert Solakov die Vielgestaltigkeit des menschlichen Lebens mit all seinen emotionalen Facetten. Dabei unterläuft sein Minimalsimus die gängigen Erwartungen an den Kunstbetrieb, dessen gravitätisch inszeniertem Ernst er das heitere und tragische Lachen entgegensetzt.

Solakov demaskiert: das Museum an sich, den herrschenden Wertekonsenz und die vemeintliche Autorität von Weltbildern, Machtordnungen und fraglos akzeptierten Traditionen. Ihm, der den Untergang des Sozialismus erlebte, bereitet jede vermeintliche Legitimität von Machtstrukturen Unbehagen.
Gerade auf der Mathildenhöhe mit ihren gediegenen Jugendstilhäusern und dem Ateliergebäude, das den Ausstellungshallen benachbart ist und als "Tempel im heiligen Hain" errichtet wurde, zu dem die Künstler prozessionsartig aufsteigen sollten - geprägt von Pathos und Stilelementen also, die Kunst zu etwas Sakrosanktem verklären - wird das Frappierende und Anarchische seiner Intervention in ihrer Wirkung noch gesteigert.

Genau dieser Kontrast, der zwischen der minimalisischen Form und ihrer Bedeutungsschwere besteht, ist Solakovs eigentliches Stilmittel, das eine eigene erheiternde Tragik produziert: ein Lachen über dem Abgrund. Einer opulenten Vorgängerausstellung begegnet er mit absoluter Reduktion; den äußerlichen Masken mit der Suggestion, er lasse den Besucher an seinem Inneren, an den Denkprozessen hinter seinem Wirken teilhaben.

Der entmannte Gott?

Allzu festgefahrene Kunstliebhaber scheint das zu irritieren, denn ein kleiner Teil des Publikums ist erbost über die nicht gezeigten Stücke: überfordert durch den Konventionsbruch nicht in den eigenen Sehgewohnheiten bestätigt zu werden und sich nun mit der Mehrdeutigkeit spöttischer, provokanter oder banaler Geschichten von grundsätzlich existentieller Tragweite konfrontiert zu sehen. Dazu gehören unter anderem auch die Eigentümer privater Leihgaben, die ihre Kunstwerke nie dafür hergegeben hätten, damit sie nicht gezeigt werden. Oder Museumsdirektoren, die missmutig feststellen, dass andere Ausstellungsorte sich darum reißen würden, diese Werke zeigen zu dürfen, während die Mathildenhöhe einfach darauf verzichtet. Nedko Solakov selbst sagt dazu, seine Werke seien möglicherweise auch böse darüber, aber er werde sich später wieder mit ihnen vertragen. Als ihr Schöpfer kann er sicher auf ein wenig Barmherzigkeit hoffen. Man kann sich darüber streiten, ob die Darstellung des rechten und linken Hoden Gottes nun einen Sinn ergibt oder ob Solakov damit eindeutig Stellung bezieht, Gott sei ein Mann, der durch seine Kunst entmannt wude. Aber warum sollte der bulgarische Künstler ausgerechnet vor den Emotionen Gläubiger halt machen?

Nedko Solakov muss viel Spaß gehabt haben, als er sich während der Schaffensphase die Reaktionen der späteren Betrachter vorgestellt hat.
Wer sich darauf einlässt, wird diesen Spaß teilen und mit weiterem Vordringen in die Ausstellung auch fühlen – und nachher die kleinen Wesen vermissen, die man zuvor in jedem Winkel zu entdecken hoffte.

Ort der Erkenntnis

Ein paar seiner bisherigen Arbeiten, für die er weltberühmt wurde, zeigt Nedko Solakov dann am Ende der Ausstellung doch noch. Er geht aber soweit, die Seitenhalle so zu tarnen als sei es ein Abstellraum und man habe versehentlich die Tür offen gelassen.
Wer arglos schnellen Schrittes daran vorbei läuft, verpasst seine herausragenden Spiegelarbeiten oder zum Beispiel die Installation "Top Secret" (1989-1990), in der sich Solakov der Kollaboration mit dem bulgarischen Geheimdienst bezichtigt - und die fantastischen "99 Fears" (99 Ängste) sowie eine wahnwitzige Denksportaufgabe auf der Empore, bei der ein Fernglas eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Wenn Sie die Aufgabe lösen, werden Sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn der plötzlichen Erkenntnis schlagen.

Der Künstler

Nedko Solakov (*1957 in Cherven Briag, Bulgarien) studierte an der Akademie für Bildende Kunst in Sofia und schloss 1981 bei Mito Ganovski in Wandmalerei ab. Es folgte ein Studium am Nationaal Hoger Instituut voor Schone Kunsten, Antwerpen sowie Stipendien in Zürich, Wien, Stockholm, Kitakyushu und dem Künstlerhaus Bethanien in Berlin. Arbeiten von Nedko Solakov sind in den bedeutendsten Museumssammlungen vertreten und wurden bislang in zahlreichen Gruppenausstellungen gewürdigt. Zu den wichtigsten Stationen seiner Ausstellungsbiografie zählen die Beiträge zur Biennale von Venedig (2007), der documenta 12 (2007) sowie die aktuelle Retrospektive (Kunstmuseum Bonn, Kunstmuseum St. Gallen, Mathildenhöhe Darmstadt, 2008/09). Nedko Solakov lebt und arbeitet in Sofia.

Zur Erinnerung an eine denkwürdige Kunstdarbietung sei das offizielle Katalogbuch zu "Emotions" empfohlen. Dieser eröffnet mit einer Randnotiz-Frage des Künstlers an die Gestalterin des Buches, welcher Logik sie bei der Anordnung der Abildungen denn gefolgt sei? Die Antwort fällt ganz nach dem Geschmack des Künstlers aus: Sie sei gar keiner Logik gefolgt sondern pure Emotion habe das Arrangement bestimmt.

Das Katalogbuch zur Ausstellungstournee mit Texten von Ralf Beil, Stephan Berg, Konrad Bitterli, Georgi Gospodinov und Nedko Solakov. Hatje Cantz Verlag. Gebunden, 224 S., 196 Abb., 19,7 x 26,7 cm, in der Ausstellung € 30,-, im Buchhandel € 34,-.

"Emotions (without masks)" läuft noch bis zum 1.11.2009 auf der Mathildenhöhe.

Nutzen Sie das letzte Wochenende, für eine Ausstellung, die es so nie wieder geben wird und deren Stücke Sie nirgendwo kaufen können.