Unterschrift am Esstisch der Diakonissen
Vor zehn Jahren unterzeichneten der Lutherische Weltbund und die katholische Kirche die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung. Das Papier gilt als ökumenischer Meilenstein.
29.10.2009
Von Jutta Olschewski

Wildseidenpapier, gebunden in rotes Ziegenleder: In der Schrift "Stones Cerife" stehen auf den 48 Seiten die Sätze, um die evangelische und katholische Kirche 30 Jahre lang gerungen haben. Am 31. Oktober 1999 legte in Augsburg Zeremonienmeister Pfarrer Peter Thorn diese Dokumente vor die Vertreter des Vatikans, den päpstlichen "Ökumeneminister" Kardinal Edward Cassidy und seinen damaligen Sekretär, Bischof Walter Kasper.

Auf lutherischer Seite setzten der Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB), Christian Krause, und Generalsekretär Ishmael Noko ihre Namen unter die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Noko und Kasper fielen sich anschließend in die Arme, und donnernder Applaus der Gottesdienstbesucher setzte ein. Zehn Millionen Fernsehzuschauer folgten der Gottesdienstübertragung aus der Augsburger Annakirche. In der Augsburger Innenstadt erlebten mehr als 2.000 Menschen über Videoleinwand die Zeremonie, die im ökumenischen Annäherungsprozess als Meilenstein gilt.

Wenig Zeit zur Vorbereitung

Gerade vier Monate hatte Augsburg Zeit, sich auf dieses historische Ereignis vorzubereiten. Zwar hatten der katholische Ortsbischof Viktor Josef Dammertz und der evangelische Regionalbischof Ernst Öffner bereits 1997 gemeinsam in Rom und Genf für Augsburg als Unterschriftsort geworben. Alles schien auf die Stadt hinauszulaufen, doch dann entbrannte neuer Streit über das Ökumenepapier. Die Gemeinsame Erklärung galt 1998 als gescheitert. "Ökumene auf Katastrophenkurs" oder "Desaster" lauteten die neuen Überschriften.

Als im Juni 1999 monatelange Abstimmungsgespräche doch noch Erfolg hatten, wiederholten die Bischöfe ihre Einladungen nach Augsburg. Und Dammertz erfuhrt eine Woche später, dass sich Augsburg wieder einmal in die kirchlichen Geschichtsbücher würde einschreiben können. Augsburg sei ein Ort mit "ökumenischem Symbolwert", hieß es. Denn verbunden ist die Stadt mit der Confessio Augustana von 1530, dem Versuch eines Brückenschlags der Reformation zur alten Kirche. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 und die Parität 1648 waren wichtige Schritte in Richtung Religionsfreiheit. 1971 fand ebenfalls in Augsburg das einzige ökumenische Pfingstreffen statt, der Vorläufer des Ökumenischen Kirchentags, dessen zweite Auflage im kommenden Jahr in München vorgesehen ist.

Plötzlich helle Aufregung

Das Rahmenprogramm für Ehrengäste und Tausende Teilnehmer musste organisiert werden, ebenso die Unterbringung von Hunderten Ehrengästen aus aller Welt, Platzkarten für den Dom, Ausweise für die internationale Presse, Sicherheitsvorkehrungen mit der Polizei mussten abgesprochen werden. Begleitet von Störfeuern katholischer und evangelischer Gruppen, die immer noch gegen die Unterzeichnung des Ökumene-Dokuments protestierten. Kurz vor dem Festakt gab es plötzlich helle Aufregung. Es fehlte ein repräsentativer Tisch, an dem die Bischöfe ihre Unterschriften leisten konnten. In letzter Minute ließen die Schwestern der Augsburger Diakonissenanstalt ihren Jugendstil-Esstisch aus dem Speisesaal in die Kirche bringen und schufen so die endgültige Grundlage für die Unterzeichnung.

Eine Gedenktafel, die an das Ereignis von 1999 erinnert, hängt heute neben dem Porträt Martin Luthers am Eingang der Sankt-Annakirche. Am Freitag und Samstag erinnern Lutheraner und Katholiken an den zehnten Jahrestag der Unterzeichnung der wichtigen Erklärung. LWB-Generalsekretär Noko sowie Kasper, der inzwischen Kardinal und Nachfolger von Cassidy als Präsident des päpstlichen Einheitsrates ist, werden erneut nach Augsburg kommen. Beide reisen anschließend weiter nach Wittenberg, wo Kasper am Sonntag einen Baum im "Luthergarten" pflanzen wird.

epd