Das zentrale Symbol von Martin Luthers Reformation
Der Streit um die Rechtfertigungslehre war einer der wesentlichen Ursachen der Reformation. Es ging um die Frage, wie der sündige Mensch Gnade vor Gott findet: allein durch den Glauben oder durch gute Werke? Martin Luther setzte auf den Glauben.
29.10.2009
Von Stephan Cezanne

Der Streit um die biblische Lehre von der Rechtfertigung spaltete am Ende des Mittelalters die Christen in Europa. Dabei ging es um das Zentrum ihres Glaubens: Wie bringt der Mensch sein Verhältnis zu Gott in Ordnung? Wie kommt man in den Himmel? Wie findet ein sündiger Mensch Gnade vor Gott? Katholiken und Protestanten beantworteten diese Fragen unterschiedlich und gingen seit dem 16. Jahrhundert getrennte Wege.

Martin Luther (1483-1546) machte eine alte biblische Lehre zur Kernthese der Reformation. Danach kann ein Mensch sich nicht durch eigene Leistung - wie Gebete, Wallfahrten oder Spenden - selbst erlösen. Das Seelenheil wird ihm vielmehr von Gott "allein durch den Glauben" geschenkt. So interpretierte bereits der Apostel Paulus Mitte des 1. Jahrhunderts die Botschaft Jesu von der unmittelbaren Liebe Gottes zu den Menschen - eine Absage an die Werkgerechtigkeit.

Reformatorische Entdeckung

Luther hatte dies für seine Zeit neu übersetzt. Seine "reformatorische Entdeckung" sah er als große Befreiung von Angst einflößenden religiösen Gesetzen, die kaum ein Mensch erfüllen könne: "Da kam ich mir vor, als sei ich ganz und gar neu geboren und durch die offenen Tore ins Paradies selber eingegangen." Luther und andere Reformatoren kritisierten eine Verwässerung der Rechtfertigungslehre in der Kirche des Spätmittelalters. Diese stellte sich immer stärker zwischen Gott und die Menschen: Gute Werke seien als Vorbedingung für das Seelenheil, das ewige Leben nach dem Tod und die Vergebung der Sünden notwendig. Mit dem Verkauf sogenannter Ablassbriefe bot die Kirche eine Verkürzung von Sündenstrafen im Fegefeuer gegen Geld an.

Die von Luther geforderten Reformen führten nicht nur zur Gründung der evangelischen Kirchen, auch die römisch-katholische Kirche hat sich seitdem grundlegend reformiert. Die damals von beiden Seiten ausgesprochenen Lehrverurteilungen treffen heute nicht mehr. Zuvor hatten sich vor allem mit der Rechtfertigungslehre Protestanten und Katholiken fast 500 Jahre lang voneinander abgegrenzt. Auf dem Konzil von Trient Mitte des 16. Jahrhunderts hatte die katholische Seite die Lehre Luthers sogar als Ketzerei verurteilt. Im 17. Jahrhundert wurden mörderische Konfessionskriege geführt. Allerdings überwogen in ihnen politische Auseinandersetzungen gegenüber dem Glaubenszwist.

Erklärung ist nach wie vor umstritten

Ein Schlussstrich unter dieses dunkle Kapitel Kirchengeschichte wurde vor zehn Jahren gezogen: In Augsburg unterzeichneten am 31. Oktober 1999 Vertreter von Vatikan und Lutherischem Weltbund die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre". Darin stellen beide Seiten ihre grundsätzliche Übereinstimmung in dieser Frage fest. Dennoch ist die Erklärung nach wie vor umstritten. Unter anderem wird argumentiert, mit der Unterzeichnung akzeptierten Lutheraner katholische Lehraussagen und umgekehrt. Befürworter der Erklärung werten sie dagegen als Meilenstein der Ökumene. Praktische Auswirkungen gibt es hingegen nicht.

Für das vergangene Jahrzehnt lässt sich vielmehr eine Abkühlung im ökumenischen Miteinander von Katholiken und Protestanten beobachten. Weder bei der gemeinsamen Abendmahls- oder Eucharistiefeier noch beim Kirchenverständnis gab es nennenswerte Annäherungen. Vatikanische Dokumente wie "Dominus Iesus" (2000) und dessen Bekräftigung 2007, in denen der evangelischen Kirche abgesprochen wird, Kirche im eigentlichen Sinne zu sein, wurden auf protestantischer Seite als brüskierend empfunden.

epd