Sechs Monate Zivildienst "lohnt sich kaum"
Der Zivildienst entwickelt sich zum Schnupperpraktikum. Mal reingucken, ein paar Erfahrungen sammeln - und dann ist man auch bald wieder weg. Wenn die schwarz-gelbe Regierung den Wehrdienst wie geplant ab 2011 von neun auf sechs Monate verkürzt, dauert auch der Zivildienst nur noch ein halbes Jahr. Zu kurz für jede halbwegs anspruchsvolle Tätigkeit, kritisieren die Wohlfahrtsverbände.
29.10.2009
Von Christoph Driessen

"Die Jungen sind einmalig", sagt Betty Lück. "Nee, wirklich. Das ist kein Süßholzraspeln, davon stimmt jedes Wort." Die 84-jährige Rollstuhlfahrerin wohnt im Alten- und Pflegeheim St. Franziskus der Kölner Caritas in Langenfeld bei Düsseldorf. Die beiden Zivis Bastian Klein (22) und Kevin Krause (18) reparieren an diesem Donnerstag gerade ihr höhenverstellbares Bett.

Bastian hat schon acht seiner neun Monate rum. "Schade", bedauert Frau Lück. Und gar nicht vorstellen will sie sich, dass die Zivis demnächst nur noch sechs Monate kommen. "Da hat man sich doch gerade mal an das Gesicht gewöhnt", meint sie. Heimleiterin Cäcilia Haverkamp (62) formuliert es drastischer: "Eine Katastrophe. Da hat man nicht mehr die Zeit, eine Beziehung zu den Bewohnern aufzubauen, zu entwickeln und dann auch abzuschließen."

Sechs Monate Dienst sind zu kurz

Bastian meint: Drei Monate braucht man schon allein, um sich erst mal einzugewöhnen, mit der Technik vertraut zu machen, die Leute kennenzulernen. "Das ist ein unheimlicher Aufwand." Und dann drei Monate später schon wieder weg? "Das lohnt sich kaum." Haverkamp findet es auch "dramatisch" für die Persönlichkeitsentwicklung der Zivis: Viele, so sagt sie, finden während des Dienstes zu sich selbst, wissen danach, was sie später mal machen wollen. "Dafür waren schon neun Monate kurz."

Solche oder ähnliche Äußerungen kommen von allen Wohlfahrtsverbänden, die viele Zivis beschäftigen, ob Caritas, Malteser oder Rotes Kreuz. "Es ist so, dass wir von der Verkürzung überrascht wurden", sagt Alfred Hovestädt vom Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln. "Wir hatten vorher aus dem Familienministerium eher Signale bekommen, dass der Zivildienst zum Lerndienst ausgebaut wird." Lerndienst hätte bedeutet, dass die Zivis noch intensiver begleitet und ausgebildet worden wären.

Will die FDP das System destabilisieren?

Der Bundesbeauftragte für den Zivildienst, Jens Kreuter, hat die Entscheidungen der Regierung zu akzeptieren, nicht zu kommentieren. Entsprechend vorsichtig ist er in seinen Äußerungen. Manche Verbände haben ihm bereits signalisiert, dass sie bei einer Verkürzung auf sechs Monate nicht mehr mitmachen wollen, weil sich der Aufwand dann einfach nicht mehr lohne. "Das finde ich plausibel", sagt Kreuter. Er kommt gerade von einem Gespräch mit Zivis in Osnabrück. Alle sprachen sich dort gegen eine Verkürzung aus. Kreuter sucht nun nach Lösungen.

Eine Möglichkeit wäre eine freiwillige Verlängerung des Zivildienstes. Dagegen ist jedoch die FDP, weil sie - so behauptet mancher - an jeder Destabilisierung des Systems interessiert ist, um den Wehrdienst so auszuhebeln. FDP-Politiker widersprechen da heftig und verweisen darauf, dass von allen Parteien überhaupt nur die CDU für eine solche Verlängerung sei. "Wir haben die ärgsten Bedenken, dass das zu einer Verdrängung in dem sowieso schon schlecht bezahlten Betreuungssegment führt", verlautet aus FDP-Kreisen - seinen Namen will man lieber nicht mit diesem Statement verbinden.

"Tschüs ihr Zwei", sagt Betty Lück, nachdem ihr Bett repariert worden ist. Die Zivis übernehmen für viele Heimbewohner die Rolle von Enkeln, die echten kommen meist nur ganz selten. Bastian findet das schön: "Ich habe keine Großeltern mehr. Da ist es toll, wenn man so ein enges Verhältnis entwickelt."

dpa