Der Impuls, selbst einmal der Held zu sein
Was treibt hauptsächlich junge Männer zwischen 16 und 36 dazu, Airsoft zu spielen? Der Reiz der Randsportart mit der militärischen Anmutung ist für viele Beobachter kaum nachvollziehbar. Wo also kommt der her? Die Antwort liegt vielleicht darin, dass beim Airsoft jeder mal der Held sein kann.
29.10.2009
Von Hanno Terbuyken

Es ist schon ein eigenartiger Impuls, der junge Männer – Frauen sind nur wenige dabei – dazu treibt, Airsoft zu spielen. Der Vergleich zu Paintball, das ja dieses Jahr schon als "Tötungssimulation" in der Debatte stand, liegt nahe, trifft aber nicht den Kern der Sache. Denn die Paintballer legen Wert darauf, gerade nicht militärisch zu sein: Sie stecken sich in bunte Hosen, tragen zivile Kleidung und verwenden keine roten Farbkugeln, weil das wie Blut aussieht.

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Blut oder die Simulation dessen gibt es bei Airsoft auch nicht. Eine militärische Anmutung dagegen schon: In ihrer Ausrüstung, ihrem "Gear", greifen Airsoftler auf die echten Vorbilder zurück, oder auf günstige Nachbildungen, die für den Airsoft-Sport produziert werden. Das wirkt irritierend auf Zuschauer. Airsoft-Spieler sind oft nur für das geübte Auge von echten Soldaten zu unterscheiden – einer der Gründe, weshalb das Spiel nur auf Privatgeländen veranstaltet werden darf, zum Beispiel ehemaligen Truppenübungsplätzen, die von Vereinen gekauft werden.

Wieso, weshalb, warum?

Mal ganz abgesehen davon, dass militärische Kleidung meistens gut dafür geeignet ist, durch den Wald zu streifen: Was bringt Airsoft-Spieler überhaupt dazu, sich an soldatischen Vorbildern zu orientieren?

Der Faktor "Coolness" spielt hierbei sicher eine große, wenn nicht die entscheidende Rolle. Die Helden der Unterhaltungsmedien sind vielfach Soldaten oder zumindest coole Kerle mit Knarren. Das fängt bei Dirty Harry und Hannibal vom A-Team an, geht mit Neo und Trinity aus der Matrix weiter und findet seinen Höhepunkt in Black Hawk Down oder bei Jack Bauer. Für das vieldiskutierte Thema Videospiele gilt das gleiche wie für Film und Fernsehen: Sam Fisher, Solid Snake, Logan Keller oder „Soap“ MacTavish tragen auch Tarnanzug und sind in den Händen der Spieler unschlagbare Helden, die immer wieder aufstehen und fast im Alleingang menschenunmögliche Taten vollbringen.

Dazu kommt der an Heldenverehrung grenzende Nimbus, der die so genannten "Special Forces" umgibt, Spezialeinsatzkräfte der Bundeswehr und der Polizei. Sucht man beispielsweise auf Amazon danach, findet man über 2.000 (englische) Bücher zu dem Stichwort. Die SEALs und Force-Recon-Marines der US Navy, der "Special Air Service" SAS der britischen Armee, die Fernspäher und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, die GSG 9, die S.W.A.T.-Teams der Polizei von Los Angeles: Sie sind legendär. Heimlich, still und leise reisen sie in Krisengebiete auf der ganzen Welt, legen allein oder in kleinen Teams den Schurken das Handwerk, fangen oder töten hochrangige Terroristen, tauchen drei Wochen lang in der Wüste von Afghanistan unter und sind mit einem Wimpernschlag wieder am Hotel-Pool, wo hübsche Frauen sie umgarnen. Das in etwa ist die Legende, die sich um diese Einheiten rankt, James Bond lässt grüßen.

Eintauchen in eine Fantasiewelt

Die oben bereits angesprochenen Shooter-Videospiele, die viel gescholtenen "Killerspiele", nehmen das übrigens auch auf. Mehr noch als Airsoft lassen sie den Spieler die Macht des mythischen Einzelkämpfers spüren, ein Stehaufmännchen zusammengemischt aus Superman und Herkules. Mit dem Soldatenberuf der Wirklichkeit hat das alles nichts zu tun. Airsoft-Spieler mögen vielleicht wie Soldaten aussehen, sie sind aber keine – und die meisten wollen es auch nicht sein.

Echte Soldaten in echten Kämpfen stehen nicht wieder auf. Das wissen auch Airsoft-Spieler. Darum tauchen sie in ihrem Spiel in eine Fantasiewelt ein, ähnlich wie die Live-Rollenspieler, die sich auf ihren Conventions in mittelalterliche Gewandung hüllen und mit Latex-Schwertern hauen. Nur bei denen fragt keiner nach, warum sie auf die Idee kommen, gewaltige Schlachten nachzuspielen. Denn Plastikgewehre sind im Gegensatz zum Langschwert aus Latex viel dichter dran an der Welt, die uns umgibt, eine Welt, in der sogar die Bundeswehr ihre Soldaten in einem unerklärten Krieg bis an den Hindukusch schickt. An den Hindukusch will allerdings keiner der Airsoft-Spieler.

Denn nur die Sicherheit des Spiels macht die Coolness, die Posen, die Spannung erst möglich. Beim Airsoft (wie übrigens auch im Shooter-Genre der Videospiele) bricht man weder sich die Knochen noch das fünfte Gebot. Das geht auch auf dem Fußballplatz oder anderswie im Sportverein, aber da ist eine andere Art von Leistung und Engagement gefragt, die Gratifikation ist bei weitem nicht so unmittelbar. Airsoft erfordert zwar ein bisschen Kondition und die Bereitschaft, mit einem Team zusammen zu spielen, aber mehr muss man nicht können.

Warum nicht einen Baum pflanzen?

So kann wirklich jeder mal der Held sein. Und dazu passt noch eine Beobachtung: Airsoft-Spieler imitieren immer die Siegermächte des zweiten Weltkrieges oder moderne Nato-Staaten – Gewinner, nicht Verlierer. Jede Form von Wehrmachtsgehabe ist absolut tabu, Airsoft-Teams distanzieren sich auf ihren Webseiten von politischen Bewegungen. Sie wollen ihr Spiel als Sport verstanden wissen, mit allen Aspekten von Fairness, die dazugehören. Sie verbinden das Helden-Ideal mit dem sportlichen Wettkampf und befriedigen gleichzeitig völlig unpolitisch das heimliche Bedürfnis vieler Menschen, selbst mal richtig cool dazustehen.

Warum dieses Bedürfnis ausgerechnet mit Nachbildungen von echten Waffen befriedigt werden kann und nicht stattdessen dadurch, einen Baum zu pflanzen – diese Frage muss man der ganzen Gesellschaft stellen. Aber wenn die Bibel sagt: Du sollst nicht töten!, sind Airsoft-Spieler ganz froh, dass sie es (im Gegensatz zu echten Soldaten) auch nicht müssen.


 

Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Gesellschaft und Wissen.