Die genaue Opferzahl bei dem Luftangriff auf zwei Tanklastzüge in Afghanistan ist nach NATO-Angaben nicht mehr genau zu ermitteln. Bei dem vom deutschen Oberst Georg Klein angeordneten Angriff am 4. September seien laut verschiedenen Quellen zwischen 17 und 142 Menschen getötet worden, sagte Bundeswehr-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan am Donnerstag in Berlin unter Berufung auf den nun eingetroffenen NATO-Untersuchungsbericht. In dem Bericht heiße es zudem, dass es zwischen 30 und 40 getötete und verletzte Zivilisten gegeben haben könnte. Schneiderhan meinte dazu: "Das bestätigt nicht, dass durch den Luftschlag unbeteiligte Personen getötet wurden."
Karsai nahm Deutschland in Schutz - Keine Unmutsbekundungen
Die vom afghanischen Präsidenten Hamid Karsai eingesetzte Untersuchungskommission war Mitte September zu dem Schluss gekommen, dass bei dem Bombardement 30 Zivilisten und 69 Taliban-Kämpfer getötet worden waren. Die Kommission hatte die Verantwortung für den Vorfall eindeutig den Taliban angelastet. Nach Abschluss der afghanischen Untersuchung hatte Karsai den Angriff zwar als Fehler bezeichnet, die Bundesrepublik aber zugleich in Schutz genommen. "Deutschland ist hier, um die afghanische Bevölkerung zu beschützen."
Der Generalinspekteur betonte, er habe nach dem jetzt vorliegenden Ergebnis der internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF - sie ist unter dem Dach der NATO - keinen Grund daran zu zweifeln, dass Oberst Klein (Foto links) und die deutschen Soldaten militärisch angemessen gehandelt hätten.
Klein hatte am 4. September US-Kampfflugzeuge angewiesen, zwei von Taliban gekaperte und in einem Flussbett nahe des Bundeswehr-Feldlagers steckengebliebene Tanklastwagen zu bombardieren. Klein soll befürchtet haben, dass die Taliban die Tanklaster als Bomben gegen die Bundeswehr nutzen würden.
Der Vorfall hatte bereits vor Abschluss der Untersuchungen international Kritik ausgelöst. In Kundus war es allerdings weder zu Demonstrationen noch zu sonstigen offenen Unmutsbekundungen gegen die Deutschen gekommen.
Hinweise für geplante Anschläge auf Deutsche
Schneiderhan sagte, der Vorfall dürfe nicht isoliert betrachtet werden. In den vergangenen Monaten habe es zahlreiche Angriffe auf die ISAF im Verantwortungsbereich von Klein in Nordafghanistan gegeben. Bis Ende August seien in diesem Jahr sechs Lastwagen und Tanklaster zu Anschlägen missbraucht worden, die zu hohen Verlusten geführt hätten. Seit Juli habe es Hinweise gegeben, dass ähnliche Anschläge auf das deutsche Wiederaufbauteam geplant gewesen seien.
Der NATO-Untersuchungsbericht zu dem Vorfall war am Mittwoch per Flugzeug von Afghanistan nach Deutschland gebracht worden. Er traf etwa zeitgleich mit der Verabschiedung von Franz Josef Jung (CDU) aus dem Amt des Verteidigungsministers am Mittwochabend ein. Ohne den Bericht zu erwähnen, setzte sich Jung bei der Amtsübergabe an den neuen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) für den betroffenen Oberst Klein ein.
Medien: Klein verstieß gegen ISAF-Regeln
Soldaten, die im Auftrag Deutschlands im Ausland tätig seien, dürften nicht mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen konfrontiert werden, sagte Jung. Er betonte, dies gelte "ausdrücklich für Oberst Klein". Dem Vernehmen nach wurde der Bericht unter Geheimhaltung gestellt und sollte umgehend Guttenberg vorgelegt werden.
Medien und Verteidigungspolitiker hatten nach dem Vorfall unter Berufung auf Informationen aus der internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF berichtet, Klein habe gegen deren Regeln verstoßen. Er habe die Bombardierung im Alleingang ohne Vorwarnung für die Taliban angeordnet. Das hätte er nur machen dürfen, wenn eigene Truppen am Boden "Feindberührung" gehabt hätten, hieß es. Es waren aber keine deutschen Soldaten im Gefecht, und das Feldlager der Bundeswehr in Kundus ist vom Ort des Luftangriffs etwa 6,5 Kilometer entfernt.
Bundeswehrverband: In Kundus herrscht Krieg
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, sprach sich für eine ehrliche Bewertung des Afghanistan-Einsatzes deutscher Soldaten aus. So müsse die Lage in der Region Kundus als Krieg bezeichnet werden. Kirsch reagierte damit am Donnerstag im ARD-"Morgenmagazin" auf den nun vorliegenden NATO-Bericht. Kirsch: "Es gibt Regionen in Afghanistan, da gibt es gar keine Aufständischen. Da ist auch kein Krieg. Aber in Kundus, da wo wir jeden Tag Kampf und Gefechte erleben, wo Tod und Verwundung dazugehört, wo unsere Kameraden töten müssen - da ist Krieg."
Als Alternative zu Luftschlägen habe er in der Vergangenheit schon angeregt, über andere Waffen nachzudenken. "Wir müssen uns ja wehren können", betonte Kirsch. "Dazu gehört für mich die Panzerhaubitze, die, in einem Feldlager eingesetzt, durchaus in der Lage wäre, erst einmal einen Schuss danebenzusetzen." Zivilisten hätten dann die Gelegenheit zu fliehen.