Medien reagieren positiv auf Käßmann-Wahl
Die Wahl der hannoverschen Landesbischöfin Margot Käßmann zur neuen Ratsvorsitzenden der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) wird in den Medien durchweg positiv kommentiert, wie ein Auszug aus den Kommentaren am Donnerstag zeigt:

Die "Frankfurter Rundschau" kommentiert: "Die Evangelische Kirche in Deutschland hat eine katholische Wahl getroffen: Sie setzt mit Margot Käßmann auf die Kraft der Persönlichkeit, auf Charisma und Gestaltungswillen, auch auf Medienpräsenz. In der Theorie kommt der geistlichen Leitung in der evangelischen Kirche längst nicht die theologische und funktionale Bedeutung zu wie dem römisch-katholischen Bischofsamt. Darauf verweisen Protestanten gern auf die Frage, wie neidisch sie auf die Öffentlichkeitswirksamkeit insbesondere des Papstes seien. In Ulm aber hat sich die Synode, das höchste Leitungsorgan der EKD, sehr bewusst gegen das Modell einer Außendarstellung über Gremien und deren Funktionäre entschieden; sie hat stattdessen eine Neben-Päpstin installiert, ohne katholisches Gepränge, aber mit vergleichbarer Strahlkraft. Von der Aufmerksamkeit her für alles, was sie künftig sagt und tut, wird sie hinter Papst und Kardinälen nicht zurückstehen. Sie hat diese Führungsrolle auch schon bisher angenommen: als das - neben Wolfgang Huber - bekannteste Gesicht des Protestantismus."

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" meint über zwei Frauen - neben Käßmann die EKD-Synoden-Präses Katrin Göring-Eckardt - an der Spitze der EKD: "Wer hinter dieser Konstellation ein progressives evangelisches Gesellschaftsprojekt oder gar die absichtsvolle Feminisierung der Kirche vermutet, liegt falsch. Derlei Argumente werden die Kirchenparlamentarier zwar gewogen haben, ausschlaggebend waren sie aber nicht. Der Kern der evangelischen Kirche hat an derlei Debatten das Interesse verloren. Frau Käßmanns Wahl folgte schlicht der Einsicht, dass die Landesbischöfin aus Hannover die geeignete Nachfolgerin von Wolfgang Huber sei. Im Unterschied zu dessen männlichen Nachfolgeaspiranten ist sie die Einzige, die neben Bischof Huber öffentlich wahrgenommen wurde. Sie hat den Zusammenhang von Religion und Mediengesellschaft verstanden; die anderen nicht."

Schwierige und spannende Ökumene

In der "Süddeutschen Zeitung" (München) ist von einem "historischen Tag" die Rede: "In Rom beginnt die katholische Kirche ihre Verhandlungen mit den Piusbrüdern, deren theologisches Programm der kämpferische Gegensatz zur Welt ist; die Atmosphäre soll freundlich sein, heißt es. In Ulm öffnet sich die evangelische Kirche der Welt mit ihren Fragen und Brüchen, Suchbewegungen und Sehnsüchten. Natürlich gibt es genug Katholiken, die das tun. Aber eine Spitze mit Margot Käßmann, mit ihrem Vize Nikolaus Schneider, der erzählen kann, wie es ist, wenn eine Tochter stirbt, und der Synodenpräsident Katrin Göring-Eckardt, die irgendwie Familie und Spitzenjob auf die Reihe kriegt - die gibt es in der katholischen Kirche nicht. Niemals zuvor zeigten sich die Unterschiede der Kirchen so sehr in den Biographien der Handelnden. Und weil Erfahrungen auch Einfluss darauf haben, wie einer von Gott redet, hat das theologische Konsequenzen, so wie Papst Benedikts Erfahrungen seine Theologie beeinflusst haben. Die Ökumene ist an diesem Mittwoch schwieriger geworden, aber auch spannender."

"Die Welt" (Berlin) attestiert Käßmann charismatischen Eigensinn: "Damit kann sie einem auch auf die Nerven gehen. So ist ihr auch im längeren Gespräch nicht begreiflich zu machen, dass es bei Halloween um eine harmlose Legende geht, mit der man Kindern manches über Tod und Erlösung verdeutlichen könnte. Nein, hält sie unerbittlich dagegen, Halloween sei "Ausdruck der Spaßgesellschaft" und eine üble Verdrängung des Reformationsfestes. (...) Im Übrigen liegt in Käßmanns Neigung zu zeitweisem Übermoralisieren auch eine ihrer Stärken. Sie kann wie kaum jemand anderer in der evangelischen Kirche zuspitzen und deutlich machen, dass der Glaube einen Leitfaden für das persönliche und gesellschaftliche Leben bietet."

Attraktives Selbstbewusstsein

"Der Tagesspiegel" (Berlin) schreibt: "Bischof Wolfgang Huber hat seiner Kirche als Ratsvorsitzender Ängstlichkeit und Kleinmut auszutreiben versucht. Das ist ihm, weiß Gott, gelungen. Margot Käßmann nun, Bischöfin der größten Landeskirche, ist wortgewandt, offen und populär und auch keine, die sich klein macht. Die Protestanten haben sie zur obersten Chefin bestimmt. Das war nicht selbstverständlich. Und es zeigt, dass die evangelische Kirche endlich verstanden hat, dass selbstbewusstes Auftreten attraktiver ist als ein demütig gebeugter Rücken. Sie hat eingesehen, dass man weiter kommt, wenn man seine Talente fördert und die besten Leute an die Spitze wählt - und nicht die Bequemsten. Käßmann ist für viele in der Kirche unbequem, weil sie sich als Bischöfin hat scheiden lassen. Mit ihr wird die evangelische Kirche nicht linker und nicht rechter, sondern normaler. Sie rückt weiter in die Mitte der Gesellschaft - weiter hin zu den Menschen mit ihren krummen Lebensläufen, Sorgen und Unsicherheiten."

Die "Stuttgarter Zeitung" kommentiert: "Innerkirchlich kann das von Ulm ausgehende Signal alle ermutigen, die wie Käßmann versuchen, Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen. Das ist eine schöne Botschaft, mehr allerdings nicht. Denn auch bei der EKD hapert es an Gleichberechtigung. Auf den meisten Führungsposten sitzen Männer, und die Zahl der Bischöfinnen lässt sich an einer Hand abzählen. Die Frauenpolitik ist nur ein Randaspekt der Ulmer Entscheidung. Bedeutender waren für das Votum des Kirchenparlaments andere Gründe. Erstens gab es zu Käßmann keine echte Alternative, weil ihre Konkurrenten weniger Charisma haben und im Fernsehen nicht so positiv ausstrahlen. Zweitens bürgt ihre Kür für Kontinuität. Sie steht wie ihr Vorgänger Wolfgang Huber für einen selbstbewussten Protestantismus und eine moderne Kirche. Die Hannoveraner Bischöfin ist quasi die natürliche Nachfolgerin, weil sie schon zuletzt Gesicht und Stimme des Protestantismus war und weil sie mit Huber an einem Strang zog."

In der "Neuen Ruhr Zeitung/Neuen Rhein Zeitung" (Essen) heißt es: "Über institutionelle Probleme hinaus hat Käßmann das Zeug, ein noch populäreres Aushängeschild der evangelischen Kirche zu werden, als es ihr Vorgänger Huber war. Wichtig ist dabei, dass sie gerade in den Medien nicht nur als Funktionärin wahrgenommen wird, sondern als Frau. Als eine, die Kinder großgezogen, Brustkrebs erlitten und eine Scheidung durchgemacht hat und sich für Frauenrechte einsetzt ohne als Emanze zu wirken. Das macht sie authentisch und sympathisch. Und wenn sie dann weiter Theologie mit warmherziger Seelsorge verbindet, könnte dies sogar glaubensferne Zeitgenossen wieder auf die evangelische Kirche aufmerksam machen."

Konkurrenten waren nicht in Sicht

Die "Rheinische Post" aus Düsseldorf urteilt: "Käßmanns Stern strahlt freilich auch deshalb so hell, weil in Ulm keine Konkurrenten in Sicht waren, die ihr den Vorsitz streitig machen konnten oder wollten. Stattdessen verhakten sich die Synodalen lieber in erschöpfenden Proporz-Scharmützeln, die am Ende dazu führten, dass der letzte Ratssitz unbesetzt blieb. Die evangelische Kirche kann sich solche Kindereien nicht leisten. Allein im vergangenen Jahr hat sie 160.000 Mitglieder verloren. Margot Käßmann hat gesagt, sie wolle die Menschen wieder für Kirche begeistern. Man wird sie daran messen."

Das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" (Online-Ausgabe) wertet die Wahl Käßmanns als "historische Wende": Sie habe habe "klug taktiert, demütig Zurückhaltung geübt und am Ende überzeugt". Mit der "selbstbewussten Margot Käßmann könnten die Protestanten weiter auf Erfolgskurs kommen, trotz eines chronischen Schrumpfungsprozesses der großen Kirchen in Deutschland", heißt es weiter: "Kein Zweifel: Margot Käßmann kann ihre Kirche und ihren Glauben nach außen bestens vertreten." Käßmann stehe für einen selbstbewussten Protestantismus. "Obendrein - und das ist ihre besondere Stärke - kann sie jene Nähe und Wärme ausstrahlen, die dem professoralen Huber mitunter fehlte."

epd