Ex-Stasi-Häftling zieht erneut in seine Zelle
Auf Stadtplänen war das Gefängnis der DDR-Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen als weißer Fleck getarnt. Hinter den hohen Mauern saßen streng isoliert DDR-Oppositionelle wie Bärbel Bohley oder Jürgen Fuchs. Heute führen ehemalige Gefangene durch die original erhaltenen Zellen in der Gedenkstätte und berichten von ihrem Häftlings-Alltag.
29.10.2009
Von Jutta Schütz

Öfter begegnen sie auch ihren früheren Vernehmern oder Wärtern - viele der einstigen Stasi-Leute wohnen noch in der Nähe. Der 65-jährige Carl-Wolfgang Holzapfel will nun mit einer spektakulären Internet-Aktion ein neues Zeichen gegen das Vergessen setzen.

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An diesem Donnerstag wird der frühere Stasi-Häftling die Zelle 207 in der zweiten Etage des Neubaus beziehen. Die schwere Tür mit Durchreich-Klappe wird hinter ihm geschlossen. Eine Woche will Holzapfel im blauen Trainingsauszug von einst und Filzlatschen ausharren. Per Webcam wird er rund um die Uhr gefilmt. Er werde sich an Vernehmungen und Einsamkeit erinnern sowie das laut aussprechen, was er damals nur denken durfte, sagt Holzapfel der dpa. Im Internet kann die Aktion unter www.stasi-live-haft.de verfolgt werden. Die Idee hatte neben Holzapfel die Fotokünstlerin Franziska Vu.

Umstrittene Persönlichkeit

Unterdessen fordert die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, die Aktion abzublasen. "Das Anliegen ist in Ordnung, aber Holzapfel ist eine mehr als dubiose Person", sagt der Abgeordnete Tom Schreiber der dpa. "Er hat eine zweigeteilte Biografie." So sei Holzapfel Mitglied der Republikaner gewesen. Die rechtsgerichtete Partei wurde früher zeitweise vom Verfassungsschutz beobachtet. Heute spielt sie auch in der rechten Szene politisch keine Rolle mehr. Schreiber sagt, er habe die Gedenkstätte informiert.

"Das ist keine Big Brother Show", sagt Pensionär Holzapfel. Er wolle an diejenigen erinnern, die im Freudentaumel über den 20. Jahrestag des Mauerfalls unterzugehen drohten. "Neben den Helden von 1989 gibt es ganz, ganz viele große und kleine Helden, die sich seit 1949 gegen das DDR-Regime gewandt haben." Viele fühlten sich benachteiligt, müssten um eine kleine Opferrente kämpfen oder litten weiter an den Haftfolgen. Besonders bitter sei es, dass sich Stasi- Leute straff organisiert hätten und noch von ihrem Vereins-Status steuerlich profitierten.

Junge Menschen erreichen

Eine neue Diskussion über das Schicksal der mehr als 250.000 politisch Verfolgten in der DDR solle angestoßen werden, sagt auch der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte, Hubertus Knabe. Die Gedenkstätte habe nur die Zelle zur Verfügung gestellt. Es gehe nicht um die Befriedigung von Voyeurismus, betont der Historiker. Insbesondere junge Menschen sollten durch den Livestream erreicht werden.

Die drei mal vier Meter große Zelle ist mit einer Holzpritsche und Matratze, Decke und blau-weiß karierter Bettwäsche ausgestattet, es gibt Tisch und Schemel. Für Dusche und Toilette muss Holzapfel die Zelle verlassen, da die alten Sanitäranlagen stillgelegt sind. Neben der historischen Häftlingskleidung soll auch mit festen Essenszeiten der damalige Alltag der Häftlinge realitätsgenau gezeigt werden. Dazu gehört auch das Verbot, sich tagsüber in das Häftlingsbett zu legen. Er erinnere sich auch an Kontrollen, ob er vorschriftsmäßig auf dem Rücken lag und die Hände auf der Decke hatte, sagt der heutige Vorsitzende der Vereinigung 17. Juni 1953, die an den Volksaufstand in der DDR erinnert.

Für 90.000 DM freigekauft

Für Holzapfel ist der 29. Oktober, an dem seine Aktion beginnt, seit 43 Jahren ein besonderer Tag. Damals wurde der West-Berliner von der Bundesrepublik freigekauft - für 90 000 Mark. Er war nach einer Demonstration für die Freilassung von politischen DDR-Gefangenen im Oktober 1965 am Berliner Checkpoint Charlie verhaftet und nach Hohenschönhausen gebracht worden. Holzapfel wurde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt und saß 13 Monate ab - in Einzelhaft in Hohenschönhausen neun Monate, sowie drei in Bautzen.

dpa