Im Streit um das Betreuungsgeld plädiert der Leiter des christlichen Kinderhilfswerks "Arche" in Berlin, Bernd Siggelkow, für ein durchgängig kostenloses Bildungssystem. "Wenn das ganze Bildungssystem inklusive Schulessen kostenlos gemacht wird, ist sichergestellt, dass das staatliche Geld zu 100 Prozent zum Wohle des Kindes fließt", sagte Siggelkow im Gespräch mit evangelisch.de.
Die CSU hatte durchgesetzt, dass im Koalitionsvertrag ein Betreuungsgeld von 150 Euro monatlich festgeschrieben wurde. Es soll ab 2013 an Eltern gezahlt werden, die ein Kind unter drei Jahren zu Hause betreuen, statt es in eine Krippe oder Kindertagesstätte zu geben. Die Kosten dafür werden von Experten auf bis zu 1,3 Milliarden Euro jährlich geschätzt - für den Fall, dass etwa jedes dritte Elternpaar von dem Angebot Gebrauch macht.
"Herdprämie" grundsätzlich falsch?
Unter anderem SPD und Linkspartei kritisieren diese "Herdprämie" ganz grundsätzlich. So bezeichnete es der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag, Thomas Oppermann, als "bildungspolitisch falsch, eine Prämie dafür zu zahlen, dass die Kinder zuhause bleiben". Für Kinder sei es wichtig, dass sie mit anderen Kindern zusammen sind und sich soziale Kompetenz aneignen, sagte Oppermann der "Passauer neuen Presse".
[linkbox:nid=5275,5030,4960;title=Mehr zum Thema]
Dagegen hat der mit Kindern aus sozialen Brennpunkten erfahrene "Arche"-Leiter Verständnis für die zugrundeliegende Idee des Betreuungsgelds: "Wenn eine Familie intakt ist, gibt es keine bessere Möglichkeit, als Kinder zuhause zu erziehen", betonte er. Und das gelte auch für arme Familien - Hartz-IV-Empfänger erzögen nicht automatisch schlechter. Siggelkow verwahrt sich deshalb gegen die Behauptung des Neuköllner Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky (SPD), das Betreuungsgeld werde von der Unterschicht ohnehin nur "versoffen": "Man kann doch nicht alle über einen Kamm scheren!", so Siggelkow.
Gutscheine statt Geld: "Richtige Richtung"
Trotzdem sei bei Geldtransfers an die Familie eben nie sichergestellt, dass das Geld komplett zum Wohl der Kinder - und somit letztlich für die Zukunft des Landes - ausgegeben werde: "Wenn einer Hartz-IV-Familie der Kühlschrank kaputt geht und sie hat 150 Euro mehr, dann wird sie erst mal einen neuen Kühlschrank kaufen", so Siggelkow. Insofern gehe der Vorschlag, Gutscheine statt Geld auszugeben, in die richtige Richtung.
Dies hatte zuvor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ins Gespräch gebracht, um Missbrauch zu verhindern. Dem TV-Sender N24 sagte sie, die Zweckentfremdung des Geldes könne verhindert werden. "Für Hartz-IV-Empfänger zum Beispiel wollen wir überlegen, ob wir Gutscheine anbieten, zum Beispiel für Bildung der Kinder oder für den Besuch bestimmter Einrichtungen."
"Arme Kinder nicht stigmatisieren"
"Aber es muss Gutscheine für alle geben", kommentierte dies Siggelkow. Eine Ungleichbehandlung ärmerer und reicherer Familien sei diskriminierend. Ähnlich sieht es der Paritätische Wohlfahrtsverband. Dessen Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider nannte Merkels Vorschlag eine "bisher beispiellose Diskriminierung einkommensschwacher Eltern". Die Regierung sollte es unterlassen, "arme Kinder und ihre Eltern mit zweifelhaften Gutscheinsystemen zu stigmatisieren, während an wohlhabende Familien familienpolitisch völlig sinnlose Geldgeschenke verteilt werden".
Weiter forderte Schneider die Bundesregierung auf, statt des Betreuungsgeldes "endlich die Kinderregelsätze bei Hartz IV bedarfsgerecht zu erhöhen" - eine Forderung, die auch die Diakonie wiederholt erhoben hat. Zudem solle dafür gesorgt werden, so Schneider in Übereinstimmung mit "Arche"-Leiter Siggelkow, dass die betroffenen Kinder kostenlosen Zugang zu allen Bildungs- und Betreuungsangeboten erhalten.
FDP und Linke lehnen Betreuungsgeld ab
Die FDP sieht sich durch die scharfe Kritik an den Plänen in ihrer Haltung gegen das Betreuungsgeld bestätigt. "Wir haben das inhaltlich immer abgelehnt, das ist nur als Konzession an die CSU in den Koalitionsvertrag gekommen", sagte FDP-Fraktionsvize Gisela Piltz der "Rheinischen Post". Bei der FDP wollte keiner diese "Herdprämie".
Die frauenpolitische Sprecherin der Linken, Cornelia Möhring, warnte: "Das Betreuungsgeld wird zum verstärkten Ausstieg junger Frauen aus dem Beruf führen." Besonders für Familien mit geringem Einkommen stellten 150 Euro zusätzlich im Monat einen großen Anreiz dar, kleine Kinder künftig lieber selbst zu Hause zu betreuen. Möhring: "Das Betreuungsgeld ist also keine Lösung, sondern ein weiteres Problem."
Der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Johannes Singhammer (CSU) wies die Kritik dagegen zurück. Das Betreuungsgeld mache Familien stärker, weil es Wahlfreiheit der Eltern zwischen einer vom Staat subventionierten Kinderbetreuung und der Erziehung in der Familie ermögliche. Zugleich gebe das Betreuungsgeld "ein wichtiges Signal gesellschaftlicher Anerkennung für die Eltern, die zu Hause bleiben, um ihre Kinder selbst zu betreuen."
Ulrich Pontes ist Politik-Redakteur bei evangelisch.de.