Evangelisch.de: Frau Ratsvorsitzende, jüngst gab es wieder ökumenische Irritationen in Deutschland. Nun war der Vorsitzende der katholischen Bischofkonferenz, Erzbischof Zollitsch, Gast bei der EKD-Synode. Wie fanden Sie seinen Auftritt?
Käßmann: Wie er das Konfliktpotenzial der letzten Wochen befriedet hat, das war schon eine große Geste.
"Unterschiede nicht gleichmachen"
Evangelisch.de: Sie sind eine Theologin, die auch Unterschiede benennen kann und darüber nicht einfach hinweggeht. Wo sehen Sie im evangelisch-katholischen Verhältnis den größten Widerhaken, wo wollen Sie als neue EKD-Ratsvorsitzende ansetzen?
Käßmann: Ja, es gibt Unterschiede – und die möchte ich auch gar nicht gleichmachen. Vielfalt ist kreativ und lebendig, das sagt das Augsburger Bekenntnis deutlich. Nicht die Riten und Rituale sind wichtig, sondern die Grundlagen des Glaubens sind es. In meiner Vorstellungsrede habe ich gesagt, der Unterschied ist etwa, dass Nicht-Ordinierte und Ordinierte gemeinsam die Kirche leiten – nicht eine Bischofskonferenz. Auch die Frauenordination ist ein sichtbarer Unterschied.
Evangelisch.de: Halten Sie es für denkbar, dass der Papst zum Lutherjubiläum 2017 nach Wittenberg kommt?
Käßmann: Ich halte das für denkbar! Es geht ja nicht nur um unsere Kirchengeschichte, es ist eine gemeinsame Geschichte. Luther hat 1541 gesagt: Wir sind auch Erbin der alten Kirche, nur wir trennen uns an diesem Punkt. Wir sind keine Kirche, die erst im 16. Jahrhundert entstanden ist, sondern wir haben eine gemeinsame Geschichte. Danach sind wir verschiedene, aber nicht völlig getrennte Wege gegangen.
"Mir ist jeder Katholik nahe - er hat denselben Glauben wie ich"
Evangelisch.de: Ändert sich denn im evangelisch-katholischen Verhältnis überhaupt nichts, wenn eine Frau an der Spitze der EKD steht?
Käßmann: Was sollte sich da verändern? Ich bin jetzt schon seit zehn Jahren Bischöfin, und die katholischen Bischöfe in Niedersachsen haben damit, dass ich eine Frau bin, kein Problem. Die Ämter der evangelischen Kirche werden von der katholischen Seite auch bei Männern nicht anerkannt. Das muss man ja erst einmal festhalten. Aber es gibt gegenseitigen Respekt. Um diesen Respekt geht es mir, weil mir jeder Katholik nahe ist – denn er hat denselben Glauben wie ich.
Evangelisch.de: Wird die evangelische Kirche jetzt attraktiver für kritische Katholiken, die mit ihrer eigenen Kirche hadern?
Käßmann: Ich werbe nicht für Konfessionswechsel, sondern eher dafür, dass Menschen ihre eigene Kirche mitgestalten. Sie sollen nicht sagen: Das ist die Kirche, sondern: Das ist meine Kirche, und ich bin Teil davon.
Evangelisch.de: Sie werben für neue Lust an Gemeinde und Gottesdienst. Was können die evangelischen Medien dazu beitragen?
Käßmann: Die neuen Medien müssen wir nutzen, wie zum Beispiel bei der Live-Übertragung der EKD-Synode im Internet. Warum kann man nicht auch Gottesdienste live im Internet übertragen, wie können wir Chatrooms eröffnen? Wir haben beispielsweise die Chatseelsorge möglich gemacht. Wir müssen uns auf die Kommunikationsformen der jungen Generation einstellen – und das geht seriös, ohne sich anzubiedern. Denn anbiedern möchte ich mich nicht.
"Ich möchte die Bindekraft der Ortsgemeinden stärken"
Evangelisch.de: Welche Rolle spielen die Gemeinden für Sie?
Käßmann: Wir sollten nicht mehr wie im EKD-Reformpapier sagen: Es gibt 50 Prozent Ortsgemeinden und 50 Prozent Leuchtfeuer. Meiner Erfahrung nach beheimaten sich Menschen im christlichen Glauben gerade in der Ortsgemeinde, dort wo sie getauft und konfirmiert werden. Da gibt es eine ganz große Bindekraft. Die möchte ich gern stärken.
Evangelisch.de: Heute ist die Bundeskanzlerin gewählt worden. Was erwarten Sie von der Bundespolitik?
Käßmann: Im Moment brennt mir wirklich die Situation in der Pflege und insbesondere
die Bezahlung dort auf den Nägeln. Wenn wir über würdige Pflege sprechen, müssen wir auch über würdige Entlohnung sprechen. Diese Frage ist eine politische, und da werden wir auch Stellung nehmen. Wir sind als Kirche ja einer der größten Träger von Pflegeeinrichtungen. Das andere Thema, das mir wichtig ist, ist Kinderarmut. Eigentlich hat der Staat dafür Sorge zu tragen, dass jedes Kind eine warme Mahlzeit am Tag erhält. Das ist in anderen Ländern durchaus der Fall. Außerdem müssen Kinder frühzeitig gefördert werden. Es ist ein fataler Irrtum zu sagen, erst mit der Schule fängt der Ernst des Lebens an.
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Evangelisch.de: Dem neuen EKD-Rat gehören keine Berufspolitiker mehr an. Schmälert das den Einfluss der Kirche auf die Politik?
Käßmann: Das denke ich nicht. Kein Ratsmitglied hat auch bisher durch Parteipolitik im Vordergrund gestanden. Wir sind aber gut im Gespräch mit den politischen Parteien. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das verändert. Viele Mitglieder der Bundesregierung sind ja durchaus auch kirchlich gebunden.
Thomas Schiller ist Chefredakteur des Evangelischen Pressedienstes epd, Bernd Buchner ist Redakteur für das Ressort Religion bei evangelisch.de.