Merkel als Kanzlerin vereidigt - Streit über Regierungserklärung
Angela Merkel ist wieder Kanzlerin: Sie bekam im Bundestag die notwendige Mehrheit, wenn auch nicht alle Stimmen der Koalition. Kritik erntete der späte Termin der ersten Regierungserklärung: SPD und Grüne reagierten empört. Bundespräsident Köhler mahnte zum Abbau des Schuldenbergs und warnte vor neuerlichen Exzessen an den Finanzmärkten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist am Mittwoch in Berlin für ihre zweite Amtszeit vereidigt worden. Die 55-jährige CDU-Vorsitzende legte im Bundestag ihren Amtseid ab, nachdem sie mit den Stimmen von Union und FDP zur Kanzlerin gewählt worden war. Zuvor hatte Bundespräsident Horst Köhler Merkel ihr die Ernennungsurkunde überreicht, sie zu ihrer Wahl beglückwünscht und ihr "eine gute Hand" für die Regierungsgeschäfte gewünscht.

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Merkel erhielt nicht alle Stimmen der schwarz-gelben Koalition. Union und FDP wählten sie mit 323 Stimmen, neun Stimmen weniger als sie gemeinsam Mandate im Bundestag haben. Nach Angaben von Fraktionssprechern waren sowohl die Unionsabgeordneten wie auch die Mitglieder der FDP-Fraktion vollständig erschienen. Der Bundestag hat 622 Mitglieder, abgegeben wurde 612 Stimmen. Gegen Merkel stimmten 285 Parlamentarier, vier Abgeordnete enthielten sich der Stimme. Für Merkels Wiederwahl waren 312 Stimmen erforderlich. Vor vier Jahren, beim Antritt der großen Koalition, war Merkel mit 51 Stimmen weniger gewählt worden als Union und SPD gemeinsam Mandate hatten.

"So wahr mir Gott helfe"

Merkel sprach ihren Amtseid mit der religiösen Formel "so wahr mir Gott helfe". Die evangelische Pfarrerstochter ist bekennende Christin. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) hatte auf die "religiöse Beteuerung" verzichtet, ebenso wie die Hälfte des damaligen rot-grünen Kabinetts. Von den Ministern der großen Koalition hatten alle bei ihrer Vereidigung die religiöse Formel gesprochen, mit Ausnahme von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD).

Neben Merkel erhielten auch der neue Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) und die anderen 14 Minister aus der Hand des Bundespräsidenten die Ernennungsurkunden. Am Nachmittag soll die erste Kabinettssitzung stattfinden. Am Donnerstag will die Kanzlerin zur Teilnahme am EU-Gipfel nach Brüssel fliegen. Anfang der nächsten Woche reist sie nach Washington. Die Regierungserklärung ist für den 10. November vorgesehen.

"Ausdruck der Arroganz": Kritik an später Regierungserklärung

Darauf reagierten SPD und Grüne mit Empörung. Dass Merkel nicht nach ihrer Wiederwahl unverzüglich eine Regierungserklärung vor dem Bundestag abgebe, sei eine "Missachtung" des Parlaments, sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast in Berlin. Es sei völlig unverständlich, dass die Kanzlerin "durch die Welt fliegt", statt vorher im Bundestag die Pläne der neuen Regierung vorzustellen. Künasts Mitvorsitzender Jürgen Trittin sprach von einem "Ausdruck der Arroganz".

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier kritisierte bei dem gemeinsamen Auftritt mit den Grünen, die für die zweite November-Woche angekündigte Regierungserklärung Merkels komme viel zu spät. Bis dahin werde über die Zukunft der deutschen Politik in Brüssel oder den USA gesprochen. Nach Ansicht Steinmeiers hat sich der "Fehlstart" der neuen Koalition auch in den Gegenstimmen aus den eigenen Reihen bei Merkels Wahl niedergeschlagen.

Die neue Bundesregierung wies die Vorwürfe zurück. Dieses Vorgehen sei nicht unüblich, erklärte eine Sprecherin. So sei etwa der frühere Kanzler Gerhard Schröder (SPD) kurz nach seiner Vereidigung im Oktober 2002 zu einem EU-Treffen geflogen. Seine Regierungserklärung vor dem Bundestag habe Schröder erst vier Tage später vor dem Parlament abgegeben.

Köhler: Europa und Finanzmärkte auf Regierungsagenda

Bundespräsident Horst Köhler sieht die neue Bundesregierung vor großen Herausforderungen. Ihre solide Mehrheit im Bundestag sei ein wertvoller Faktor für politische Stabilität, sagte der Präsident bei der Überreichung der Ernennungsurkunden an die Minister der schwarz-gelben Regierungskoalition am Mittwoch in seinem Amtssitz in Berlin.

Köhler nannte an erster Stelle die Europapolitik und die internationale Politik. Europa brauche neue Dynamik, sagte Köhler. Deutschland sollte zu den Staaten gehören, die die europäische Einigung voranbringen. Mit Blick auf die Finanzmärkte warnte der Bundespräsident, die Politik dürfe nicht zulassen, dass die Akteure wieder zu den Methoden zurückkehrten, die die Krise ausgelöst haben. Geld und Kapital müssten eine "dienende Rolle" einnehmen zum Nutzen aller Menschen.

Köhler warnte vor unrealistischen Wachstumshoffnungen und erklärte, er wünsche sich "eine breite politische Aufmerksamkeit und Arbeit für das Ziel, die Staatsverschuldung wieder zurückzuführen". Als weitere Herausforderungen nannte er die Bekämpfung des Klimawandels und die Bildungs- und Forschungspolitik.

Köhler warb für einen Dialog mit der Bevölkerung. Die Bürger sollten gewiss sein können, dass es in der Politik vor allem um ihre Anliegen gehe, sagte er. Das festige die Demokratie und die öffentliche Akzeptanz politischer Entscheidungen. In der Außen- und Sicherheitspolitik habe die Bundesregierung eine Fürsorgepflicht gegenüber den Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen sowie die Aufgabe, die Bedeutung und Ziele dieser Einsätze im eigenen Land zu vermitteln, sagte Köhler.

dpa/epd