Bibel-Comic: Feministische Genesis?
Robert Crumb, Ikone der amerikanischen Underground-Comics, hat das erste Buch der Bibel gezeichnet. Das Werk orientiert sich am Original und liefert doch Neues.
26.10.2009
Von Georg Klein

Verschiedene Variationen und Teile der Bibel als Bildergeschichte gab es schon öfter, aber ausgerechnet von Crumb? Der 1943 in Philadelphia geborene Zeichner wurde insbesondere durch sexuell freizügige Geschichten rund um Figuren wie "Fritz the Cat ", "Mr. Natural" oder Bekenntnisse aus seinem intimen Privatleben bekannt .

Andererseits war er immer ein Zeichner, der seinen Kampf mit äußeren wie inneren Moralvorstellungen und seine Suche nach spiritueller Weiterentwicklung ebenso humorvoll wie erbarmungslos zum Thema gemacht hat. In seiner bedingungslosen Ehrlichkeit ist er nie einer Konfrontation oder Diskussion aus dem Weg gegangen. Sein – gezeichnetes - Frauenbild, das stark von seinen persönlichen Neigungen geprägt ist, wurde oft und heftig genug als frauenfeindlich kritisiert. Gerade dieses Frauenbild aber ist es, das seiner insgesamt zurückhaltenden und Texttreuen Genesiserzählung einen besonderen und tatsächlich feministischen Blickwinkel verleiht.

Hinweise auf das Matriarchat

Man kann Crumb nicht vorwerfen, sich nicht ausreichend mit dem Original-Text, seiner wissenschaftlichen Erforschung und seinen Auslegungen auseinandergesetzt zu haben. Im Gegenteil: Crumbs Genesis ist, in der deutschen Fassung, weitgehend an der Luther-Bibel von 1912 orientiert. Er bemüht sich, die teils widersprüchlichen und schwer verständlichen Elemente auf der Basis neuerer religionswissenschaftlicher Interpretationen darzustellen.

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Dazu zählt insbesondere die Interpretation der Geschichte von Sarah, Hagar und Abraham durch die feministische Wissenschaftlerin Savina Teubal. Teubal, die 2005 verstarb, sah in der meistens nicht näher erklärten Sonderrolle von Sarah, als lange kinderloser und mitentscheidender Frau, deutliche Hinweise auf zu dieser Zeit noch existierende matriarchale Strukturen. Erhärtet wird ihre Theorie durch weitere Elemente in den Texten, wie zum Beispiel Sarahs rituell sich wiederholende Rolle als Geliebte des Pharaos und Abimelechs, oder dem Vorrang, den die mütterliche Linie in der Heiratspolitik ihrer Nachfahren genießt.

"Tief verwurzelt in der Kulturgeschichte des Menschen"

Durch diese Nachweise gelang es Teubal, im liberalen amerikanischen Judentum ein neues Interesse und Verständnis für die Rolle und Wichtigkeit des weiblichen Einflusses zu gewinnen. Für Robert Crumb, dessen Vorliebe für starke, dominante Frauentypen mehr als ausreichend dokumentiert ist, war es naheliegend, sich auf diese Ansätze zu beziehen.

All dies sollte aber nicht dazu verführen, von dem Buch radikale Neuinterpretationen der Genesis oder ausschweifende sexuelle Phantasien im Crumb-Stil zu erwarten. Der Zeichner lässt die ebenfalls reichlich vorhandenen patriarchalen und anderen Bezüge im Text durchaus bestehen. Er stellt nur heraus, was "in dieser alten Zusammenfassung menschlicher Mythen, Legenden und Stammesgeschichten, die um 600 vor Christi in einen sinnstiftenden Gesamtzusammenhang gebracht wurden", noch vorhanden ist.

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Als einen solchen "sinnstiftenden Gesamtzusammenhang", durchaus in Übereinstimmung mit der Forschung, betrachtet Crumb nämlich die Bibel, nicht als das Resultat göttlicher Offenbarung. Trotzdem hält er die Bibel für ein "fulminantes Werk, dessen vielfältige Bedeutungsebenen tief in unserem kollektiven Bewusstsein – oder in der Kulturgeschichte des Menschen - verwurzelt sind". Entsprechend respektvoll geht er mit dem Stoff um.

Neue Sichtweisen

Sicherlich: Frauen sind bei Crumb immer groß und sehr kräftig gezeichnet, und wenn die Schrift explizit Gewalt und Sexualität erwähnt, wird diese auch dargestellt. Aber man hat nie den Eindruck, dass diese Szenen zum Selbstzweck werden oder gar die Erzählung dominieren.

Was bleibt ist ein ernstzunehmendes Kunstwerk, das der Vielschichtigkeit des Ausgangsstoffes nichts wegnimmt, sondern im Gegenteil neuere Erkenntnisstände und Sichtweisen mit einfließen lässt.

 

Robert Crumbs Genesis erscheint beim Carlsen Verlag


Georg Klein ist freier Journalist und lebt und arbeitet in Offenbach am Main.