Brettspiel-Mekka Essen zieht so viele an wie nie
So viele Besucher wie nie zuvor waren dieses Jahr auf der Spiele-Messe in Essen. Es ist die größte Messe für Gesellschaftsspiele weltweit, und das liegt auch daran, dass Deutschland das spielfreudigste Land der Erde ist. Sogar in den USA gibt es den Ausdruck "German board games", deutsche Brettspiele, und die neuesten davon - wie das Spiel des Jahres "Dominion" - findet man auf der Essener Spielemesse.
25.10.2009
Von Maike Freund

Vom roten Teppich ist fast nichts mehr zu sehen. Alle Tische sind belegt. Auch da, wo eigentlich keiner mehr sitzen sollte, haben sie sich ausgebreitet: die Spielwütigen. Gelegenheitsspieler, Fans oder die, die einfach einen Spiele-Nachmittag verbringen wollen. Sie sitzen im Schneidersitz auf dem Boden, an Tresen und Wände gelehnt, auf Kissen und in Ecken; die Spiele auf den Knien, die Karten in den Händen, ein Brett vor sich auf dem Teppich. Kinder, Jugendliche, Erwachsene jeden Alters. Die Stimmung: konzentriert. Trotz der Enge, trotz der Hitze, trotz des Lärms. Denn hier können Besucher die rund 500 Neuheiten der Gesellschaftsspiele ausprobieren, noch bevor sie auf den Markt kommen. Hier, auf der Spiele-Messe in Essen.

Halle 11: Heiner Wöhning ist Chef des Ravensburger-Stands, einem der größten auf der Messe. Er ist entspannt, lächelt viel - trotz des permanenten Andrangs. Schon seit Eröffnung der Messe gibt es immer eine Schlange an der Spiele-Ausgabe. Ausprobierte Spiele kommen zurück, neue werden geholt, Fragen werden gestellt. Es ist so voll, wie in keinem Jahr zuvor – insgesamt rund 150.000 Besucher. Das liegt auch an den Herbstferien; es sind mehr Eltern mit ihren Kindern gekommen. Trotz Wirtschaftskrise –in Deutschland boomt die Spiele-Industrie. Woran das liegt? Wöhning erklärt: "In Deutschland gibt es – anders als in anderen Ländern – eine regelrechte Spiel-Kultur. Seit dem Spiel 'Die Siedler' sind Gesellschaftsspiele komplexer geworden, sind auch etwas für Erwachsene." Ein Markt also, der weit über die Zielgruppe Kind hinausreicht.

Spielebereich für Kleinkinder hilft auch den Eltern

Und das heißt: Wer auf die Spiele-Messe in Essen kommt, muss nicht Kind sein. Im Gegenteil. In der Regel sind es eher erwachsene Fans, die sich inspirieren lassen wollen. So wie Gundula. Die 33-jährige Essenerin ist zum fünften Mal hier. Für sie und ihren Mann gehören Spiele-Abende ins feste Wochenprogramm. Deshalb führt für die beiden kein Weg an der Messe vorbei. Bis voriges Jahr haben sie an allen vier Messe-Tage immer durchgespielt. Nun aber ist Jana, ihre Tochter, ein dreiviertel, zu groß, um einfach im Kinderwagen die Messe zu verschlafen. Also hat Gundula in diesem Jahr einen neuen Spiele-Bereich entdeckt: den für Kleinkinder. Die beiden sitzen bei dem Spieleverlag Haba an Miniatur-Tischen auf winzigen, roten Stühlen und spielen mit Holzobst. Eigentlich sollte Jana die bunten Figuren in Körbchen einsortieren. Aber sie hat mehr Spaß daran, die Figuren durch die Gegend zu werfen. Besonders die roten Äpfel haben es ihr angetan. Konzentriert nuckelt sie an einem, dann lässt sie ihn über den Tisch kullern.

Essen Hauptbahnhof: Sarah und Lena müssen warten. Schon wieder. Sie sind mit dem Zug aus Düsseldorf gekommen. Jetzt stehen mit ihrem Großvater an der U-Bahn-Station und warten auf die U11, die sie zur Spiele-Messe bringen wird: "Wann kommt denn endlich die Bahn?", fragt Lea, die Achtjährige. Hin und her läuft sie auf dem Bahnhof, kann nicht stillstehen, will jetzt sofort sehen, worauf sie sich schon die ganze Woche freut: die Spiele. Dann löchert sie ihren Opa mit Fragen: Was gibt es zu sehen? Welche Spiele können sie ausprobieren? Wir der Großvater ihr ein Spiel kaufen? Sarah, sechs Jahre alt, zupft an der Jacke ihres Großvaters. Immer wieder, im gleichen Sing-Sang, fordert sie ihn auf: Opa, spiel mit mir! Dann kommt die Bahn – endlich.

Kostümierte Werber und vollgestopfte Tüten

Zurück auf dem Essener Messegelände, Halle 10: Ein älteres Ehepaar hat sich einen Platz am Rande ergattert, ein Spiel auf den Knien. Die beiden kommen aus Essen. Wäre das nicht so, sagen sie, dann kämen sie nicht hierher. Sie sind auf der Suche nach Spielen, die sie den Enkeln zum nächsten Geburtstag schenken können. Und sie haben eines entdeckt, dass sie noch von früher kennen. Die "Deutschland-Reise" in Neuauflage. Kaufen können sie es an diesem Stand nicht. Denn manche Aussteller wollen nur zum Spielen animieren. Andere bieten beides an: ausprobieren und kaufen.

Stickig ist es, laut, voll. Ein bisschen wie auf einem Jahrmarkt. Da schlängeln sich Erwachsene in Kostümen durch die Massen – Elfen, Ritter, ein Burgfräulein in einem grünen Samtkleid – eine Marketing-Aktion eines Ausstellers. An einem anderen Stand sitzen vier Kinder auf einer Holzbank, Zaubererhüte auf dem Kopf – sie probieren "Das magische Labyrinth" aus. Durch die Gänge der zwölf Messehallen schieben sich Besucher, in beiden Händen vollgestopfte Tüten. Dort drüben zieht einer einen Koffer hinter sich her – oben schauen noch die Ecken zweier Spiele heraus.

Die wollen alle nur spielen

Halle 12: Silke geht von einem vollbesetzten Tisch zum anderen. Schaut zu, greift ein, liest noch einmal in der Gebrauchsanweisung nach. Jetzt sitzt sie an einem Tisch und sortiert Spielkarten. Ihr rotes T-Shirt kennzeichnet sie als Erklärerin beim Austeller Jumbo, ein echter Job auf der Messe. Ihre Aufgabe: Interessierte beim Spielen anzuleiten. Die 28-jährige Lehramtsstudentin arbeitet zum vierten Mal auf der Messe. Dafür gab es im Vorfeld extra Spiele-Abende für die Mitarbeiter, damit jeder die Regeln der Spiele kennt. Eines, "Das Haus Anubis", ist erst am Abend vor Messebeginn aus der Produktion gekommen. Da haben sich Silke und ihre Kollegen eben morgens hingesetzt und eine Runde gespielt. Was Silke so an der Messe begeistert: die Atmosphäre. "Nirgendwo habe ich bisher solch eine Menschenmasse erlebt, die gut drauf ist. Die entspannt ist, begeistert – und vor allem nicht motzt." Klar, hier motzt keiner, denn alle wollen ja nur spielen.

Auf dem Treppenabsatz neben einem Café ist es ein bisschen ruhiger. Hier sitzt eine Gruppe Franzosen. Marc, Pascal, Pierre und Luc sind zwischen 30 und 40 Jahre alt. Sie haben sich hierher zurück gezogen, um ihre neu gekauften Spiele gleich auszuprobieren. Warum sie nach Essen auf die Messe kommen und nicht nach Nürnberg oder Leipzig fahren? Hier gibt es mittlerweile die meisten Neuheiten. Und die Stimmung gefällt ihnen, sagen sie. Dann mischt Pascal die Karten und würfelt – einen neue Spiele-Runde beginnt.


Maike Freund ist eine freie Journalistin aus Dortmund und war für evangelisch.de auf der Spielemesse.