Vorsichtig steigt der kleine Trupp junger Männer an der steilen Seite des Grashügels hoch. Sie tragen Tarnkleidung, dazu schwarze oder olive Einsatzwesten, vollgepackt mit Ausrüstung. Was sie oben erwartet, wissen sie nicht. Ich bin dabei, klettere ebenfalls geduckt an dem kleinen Hang entlang. Vorsichtig hebe ich den Kopf, um über die Kante des Hügels schauen zu können. Nichts. Wir gehen weiter vor, auf die flache Kuppe des langgestreckten Grashügels. Die Schutzbrille beschlägt, die Sonne heizt uns unter den dichten Westen auf. Plötzlich Bewegung genau gegenüber, keine fünf Meter entfernt, hinter den Bäumen! Ich lege an, ziele, zögere. Freund oder Feind? Soll ich abdrücken oder nicht?
Die Zeit dehnt sich endlos. In wenigen Sekunden schießen mir tausend Sachen durch den Kopf. Ein flaues Gefühl macht sich im Magen breit: Bringe ich das wirklich fertig, jetzt den Abzug zu ziehen? Will ich das überhaupt? Es braucht Sekunden, bis mir wieder klar wird: Es ist nur ein Spiel, was ich jetzt tue, hat keine echten Konsequenzen.
Ich krümme meinen Zeigefinger, spüre, wie mein Finger gegen den Handschuh drückt, dann gegen den Abzug. Der kleine Elektromotor meiner Waffe legt los, per Luftdruck feuert er einen Stoß kleiner Plastikkügelchen in Richtung meines Gegners. "Hit!" ruft der und guckt mich etwas verwundert an: "Ich bin doch auf deiner Seite!"
Ohne Ehrlichkeit geht es nicht
"Hit", das ist der Airsoft-Ausruf für "ich wurde getroffen". Anders als bei dem wesentlich bekannteren Paintball ist die Airsoft-Munition nicht mit Farbe gefüllt, so dass Treffer nicht nachgewiesen werden können. Ehrlichkeit ist das also erste Gebot für die 34 Spieler, die an diesem Samstag auf einem ehemaligen NVA-Gelände im äußersten Nordosten Deutschlands mitmachen. Nicht alle halten sich dran, aber die meisten spielen fair.
Wie hart das sein kann, merke ich schnell selbst. Von dem alten Raketenbunker, der meinem Team als vorgeschobener Posten dient, laufe ich von Baum zu Baum und werfe mich in eine mit Holzstämmen und Sandsäcken ausgebaute Stellung. Auf der anderen Seite der Straße versuchen drei meiner Mitspieler, einen Bunker der Gegenseite einzunehmen. Die 6-mm-Kügelchen, die als Munition für die Airsoft-Waffen dienen, knallen gegen die Metalltüren. Von rechts sehe ich zwei Gegner kommen, nehme einen ins Visier – da prasseln Kugeln gegen meine Weste. Verdammt, denke ich, rufe mein erstes "Hit!" in den Wald und schäle mich aus der Stellung. Ich muss zurück zum Wiedereinstiegspunkt, genannt "Respawn", und eine gute Viertelstunde warten, bis ich wieder aufs Feld darf. Die Lektion habe ich gelernt: Niemals alleine losziehen, Teamwork ist beim Airsoft-Spielen entscheidend. Wer allein losgeht, ist schnell aus dem Spiel.
Es bleibt nicht der einzige Treffer, den ich einstecken muss, und dann fängt es auch noch an zu regnen. Während ich auf die Uhr schaue, frage ich mich: Warum mache ich das hier eigentlich? Im Vorfeld des Spiels haben sich die Organisatoren eine ausgeklügelte Hintergrundgeschichte einfallen lassen, aber im Unterholz des Spielgeländes bleibt davon nicht mehr als "wir gegen die" übrig. Und "die" legen ein ganz schönes Tempo vor, so dass beim Ruf zur Mittagspause fast unser ganzes Team bis zum eigenen Hauptquartier zurückgedrängt wird.
Manche rüsten sich wie echte Soldaten aus
Dann ist erst mal Pause angesagt, gut so, denn durch die Regenwolken bricht die Sonne durch. Meine Schutzbrille beschlägt unter dem Dschungelhut, Regenwasser läuft mir in den Nacken, ich schwitze unter der schwarzen Weste, mit der ich meine Munition, Energieriegel und Trinkwasser durch die Gegend schleppe. Einträchtig latschen die Spieler der beiden Teams, die von München bis Usedom hierher gekommen sind, zurück zum Zeltplatz. Die meisten waren stundenlang unterwegs zu dem Gelände nahe der polnischen Grenze. "Ich weiß, warum das hier so weit ab vom Schuss ist", sagt einer: "Airsoft ist eine Randsportart." Die Spieler erzählen sich gegenseitig ihre Geschichten vom Vormittag und schmieden schon Pläne für den Rest des Spiels. Das unterscheidet Airsoft von Paintball: Airsoft-Spiele sind häufig darauf ausgelegt, einen ganzen Tag lang zu laufen, manchmal sogar auf so genannten "Operations" ein ganzes Wochenende. Die Spieler rüsten sich ähnlich aus wie echte Soldaten, einige legen sogar Wert auf ein möglichst originalgetreues Outfit – und geben ziemlich viel Geld dafür aus, echtes "Gear", wie die Ausrüstung heißt, zu bekommen.
Die meisten Spieler hier sind allerdings in deutschen oder britischen Tarnklamotten unterwegs, wie man sie in jedem Army-Shop günstig bekommen kann. Mehr Geld geht für die nachgebildeten Waffen drauf, deren Preise bei etwa 100 Euro anfangen. Zum Teil sind sie täuschend echt, ein Grund, warum die Airsoft-Waffen unter die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen im Waffenrecht fallen und nur auf Privatgeländen benutzt werden dürfen. Das Gelände am Stettiner Haff, auf dem wir spielen, gehört der Airsoft-Sparte des Sportvereins Einheit Ueckermünde. Viele Spieler, die sich zum mitgebrachten Mittagessen in ihre Zelte setzen, sind relativ jung, alle sind zwischen 14 und 34 Jahren alt. Die Airsoft-Waffen, mit denen hier gespielt wird, sind relativ schwach, ihre Mündungsenergie liegt unter 0,5 Joule. Damit kann man auf zehn Meter Entfernung eine Cola-Dose einbeulen, mehr nicht. Sie dürfen nur an Käufer über 14 Jahren abgegeben werden. Stärkere Airsoft-Waffen gibt es auch, die sind aber erst ab 18 Jahren zugänglich und dürfen in Deutschland ihre Plastikkügelchen nicht vollautomatisch verschießen können.
"Eine geile Aktion"
Ich bin ganz froh, dass es hier eher sanft zugeht, denn nach der Mittagspause gewinnt das Spiel an Fahrt. Unser Hauptquartier, eine ehemalige NVA-Garage, ist umstellt, fast das ganze Team hat sich hier verschanzt. "Raus, raus, raus!", kommt die Anweisung. Ich sprinte über die Straße, verlasse mich darauf, dass mir meine Mitspieler den Rücken frei halten und werfe mich hinter den Bäumen ins Gras, die Gegner direkt im Visier. Aus dem Augenwinkel sehe ich drei weitere Gestalten in mein Schussfeld springen. Im Liegen drehe ich mich, ziele, drücke ab, treffe, "Hit!" Da merke ich, wie mich von der anderen Seite Kugeln treffen, und ich bin auch raus. Erst danach merke ich: Die drei waren auch auf meiner Seite, in der Hektik habe ich das nicht gemerkt. "Aber es war eine geile Aktion", lachen die anderen – böses Blut gibt's hier keines, man ist ja gleich wieder dabei.
Meine Chance auf Wiedergutmachung kommt zum Ende des Tages. Wir haben uns bis zum Versorgungslager vorgekämpft, da kommt per Funk die Nachricht: "Das Hauptquartier wird angegriffen!" Wenn wir das Hauptquartier verlieren, verlieren wir auch das Spiel, so sind die Regeln. Wir rennen zurück, die Ausrüstung wiegt schwer, aber egal: Unsere Freunde sind in Gefahr. Zu viert nehmen wir Deckung hinter Sandsäcken und sehen zwei Gegner um unser Hauptquartier schleichen. Ich lasse sie um die Ecke gehen, laufe bis zur Hauswand vor und kann einen von beiden von hinten treffen. Auch den zweiten erwische ich noch, das bringt mir anerkennende Blicke meines kleinen Trupps ein. Es ist ein persönlicher Erfolgsmoment, zum ersten Mal fliege ich nicht direkt bei einem Angriff wieder aus dem Spiel.
Nachdenklicher Spaß
Inzwischen neigen sich der Tag und das Spiel dem Ende zu. Noch einmal gehe ich mit drei anderen durch den Wald, einer unserer Trupps braucht Hilfe am anderen Ende des Geländes. Die frühe Abendsonne glitzert auf den regennassen Blättern, um uns herum ist niemand. Meine Schutzbrille beschlägt schon wieder, der Rücken tut mir weh, die Füße sind lahm, aber es hat was, so durch den Wald zu streifen. Fast möchte man stehen bleiben und einfach schauen, aber wir haben ja ein Ziel. Doch bevor wir dort ankommen, hören wir über Funk: "Spiel vorbei, wir haben gewonnen!"
Mein flaues Gefühl vom Morgen hat sich verflüchtigt. Das Nachdenken allerdings bleibt. Schließlich bin ich den ganzen Tag mit einer Plastik-Waffe in der Hand durch den Wald gerannt und habe kleine Kügelchen auf Menschen abgefeuert. Und ich kann nicht abstreiten, dass es Spaß gemacht hat. Aber für mein nächstes Erlebniswochenende gehe ich lieber wieder mit Freunden durch den Harz wandern. Ohne Waffen.