Ost-Wirtschaft blüht nur in den Zentren
Wer hat sich 1989 geirrt, wer behielt recht? Der Mahner Oskar Lafontaine, damals SPD-Vize und wenig später Kanzlerkandidat, der die schnelle Wirtschafts- und Währungsunion für einen Fehler hielt? Oder Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), der die DDR schon im April 1990 als "wirtschaftlich blühende Landschaft" innerhalb von drei bis fünf Jahren sah?
22.10.2009
Von Bernd Röder

Heute sagt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, zur ökonomischen Entwicklung der fünf neuen Bundesländer: "Gemessen an dem, was an wirtschaftlicher Substanz vorhanden war, ist das Glas weder halbvoll noch halbleer, sondern mindestens zwei Drittel voll."

Schon drei Monate nach dem Mauerfall, im Februar 1990, wagte eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern aus Ost- und West-Berlin einen Ausblick: "Die DDR droht schon jetzt in einen Teufelskreis aus Abwanderung, Lähmung des wirtschaftlichen, geistig-kulturellen und sozialen Lebens und erneuter Abwanderung zu geraten", schrieben die Forscher in einem gemeinsamen Papier. Die Bilanz knapp 20 Jahre danach zeigt, dass sie nicht ganz falsch lagen.

Schocktherapie für die Ostwirtschaft

Im Herbst 2009 liegt die ostdeutsche Wirtschaftskraft, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, bei 70 Prozent des Westniveaus. Bei den verfügbaren Einkommen sind es immerhin 80 Prozent. Die Arbeitslosigkeit ist im Osten doppelt so hoch wie im Westen.

Die DDR war zur Jahreswende 1989/90 zwar nicht bankrott. Sie hatte aber schon jahrelang von der Substanz gelebt. Ein Großteil der Auslandskredite wurden in den Kauf von Konsumgütern gesteckt, statt in die eigene Industrie zu investieren. Die Währungsunion am 1. Juli 1990 geriet zu einer unvermeidlichen Schocktherapie für die Ost- Wirtschaft. Erstmals der Konkurrenz ausgesetzt und mit der massiven Aufwertung der Währung konfrontiert, sank die Industrieproduktion innerhalb weniger Wochen etwa um die Hälfte. "Den Kritikern der Währungsunion wurde also schon kurze Zeit später der empirische Beweis dafür geliefert, dass sie recht hatten", resümiert DIW-Experte Karl Brenke.

Die Tiefpunkt des Niedergangs war 1991 erreicht. Von diesem niedrigen Niveau begann eine vierjährige Erholung mit fast zweistelligen Wachstumsraten. Seitdem holt der Osten im Vergleich zu Westdeutschland nur noch langsam auf - trotz geschätzter 1,2 Billionen Euro aus dem Westen, die seit 1990 in Infrastruktur, Sozialsysteme und den Neuaufbau der Wirtschaft flossen.

Viele Regionen bleiben abgehängt

Entstanden sind Leuchttürme wie der Hightech-Standort Jena mit Optik, Feinmechanik und Medizintechnik, wo Forschung, Entwicklung und Produktion eng beieinander liegen. Oder die Automobilzentren Leipzig, Dresden, Eisenach. Auch in der Solarindustrie etablierten sich einige Standorte - Bitterfeld-Wolfen, Erfurt und Berlin.

Viele andere Regionen bleiben aber abgehängt. "Der Osten wird weiter aufholen, aber nicht flächendeckend", sagt der Leiter des Dresdner Ifo-Instituts, Joachim Ragnitz. Die großen Städte würden Gewerbe und Arbeitskräfte anziehen, auf dem Land werde es weiter abwärtsgehen. Zwei Millionen Menschen habe Ostdeutschland seit dem Mauerfall verloren, nicht nur durch Wegzug, sondern auch durch die geringe Geburtenrate. Diese Schrumpfung werde sich fortsetzen. So werde das Wachstum der ostdeutschen Wirtschaft auch in den kommenden Jahren gebremst, erwartet Ragnitz.

dpa