Schwarz-gelbe Rechentricks "Belastung für die Demokratie"
Verständlich, aber mitnichten legitim wäre aus Sicht des Politologen Graf Kielmansegg der Kniff eines Schattenhaushalts. Den eigentlichen Sündenfall sieht er aber bereits im Wahlkampf.
21.10.2009
Von Ulrich Pontes

Angesichts der Situation erklärlich, aber nicht zu billigen: Der Politikwissenschaftler Peter Graf Kielmansegg hat scharfe Kritik an dem Vorhaben von Union und FDP geübt, Sozialversicherungsdefizite der kommenden Jahre in einen Sonderfonds auszulagern. "Ich sehe keine legitimen Argumente, die dafür sprechen", sagte der Mitverfasser der kirchlichen Stellungnahme "Demokratie braucht Tugenden" (auch als pdf) im Gespräch mit evangelisch.de. Das Vorhaben sei "außerordentlich problematisch" und beruhe letztlich auf "Wirklichkeitsverweigerung".

"Schwarze Kasse" für mehr finanziellen Spielraum

Die künftigen Koalitionäre planen, für kommende Defizite vor allem der Bundesagentur für Arbeit bereits jetzt einen Fonds von 50 Milliarden Euro einrichten. Die Belastung würde im Bundeshaushalt 2009 zu Buche schlagen; die 2011 in Kraft tretende, im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse würde auf diese Weise umgangen. Unterm Strich könnte die Koalition über die Legislaturperiode hinweg insgesamt mehr Kredit aufnehmen und hätte somit mehr finanziellen Spielraum, ohne die Regeln der Schuldenbremse zu durchbrechen. Die Opposition spricht angesichts dieses Vorhabens von Schattenhaushalt, Verschleierung und Betrug, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Klaus Zimmermann von einer "schwarzen Kasse".

[linkbox:nid=5145,5066,4742,4636,4202,4070;title=Mehr zu den Koalitionsverhandlungen]

Demgegenüber sieht Graf Kielmansegg Politiker in der Pflicht, Transparenz herzustellen und argumentativ um Unterstützung zu werben: "Politiker tragen Verantwortung dafür, den Wählern zu helfen, die Realitäten zu sehen und das Notwendige zu akzeptieren", so der emeritierte Professor der Universität Mannheim. Ein unbequemer Weg, der mittels eines Sonderfonds umgangen werde. "Ich glaube, dass die Demokratie hier wirklich belastet wird", erklärt Kielmansegg.

"Steuersenkungs-Versprechen hat in die Falle geführt"

Die Kritik des Wissenschaftlers setzt dabei allerdings tiefer an als bei der "lediglich technischen Umsetzungsfrage", wie genau Schulden verbucht werden. "Mein grundlegender Vorwurf gilt der Strategie der FDP im Wahlkampf." Vor der Wahl seien praktisch alle Fachleute darin einig gewesen, dass der Spielraum für Steuersenkungen fehle. Dieser Wirklichkeit habe die FDP sich verweigert und einseitig auf das Versprechen steuerlicher Entlastungen gesetzt.

So konkrete Wahlversprechen hätten durchaus eine "bindende Wirkung", so Kielmansegg weiter. Damit habe die FDP "sich selbst und die zukünftige Regierung in die Falle geführt": Da Steuersenkungen durch Einsparungen schlicht nicht zu finanzieren seien, bleibe nun eben nur der Weg in noch mehr Schulden. Die CSU, die ebenfalls lautstark Steuersenkungen versprach, sieht der Politologe in dieser Frage als nicht maßgeblich an: Die FDP habe einseitig auf Steuersenkungen gesetzt, ein besseres Wahlergebnis erzielt und lebe zudem seit den sechziger Jahren mit dem Trauma als Umfallerpartei angegriffen zu werden.

Föderalismus durchkreuzt Ausweg

Beschränkt man die Betrachtung auf die jetzige Situation, gesteht Kielmansegg der FDP und damit den Koalitionären zu, sich in einem Dilemma zu befinden. Der "einzige wirklich aufrechte Ausweg" aus der Situation wäre dem Wissenschaftler zufolge ein Eingeständnis der FDP, dass vor Steuersenkungen erst das Ende der Krise abgewartet werden müsste. Aber: Die Kurzatmigkeit des föderalen Systems mache einen derartigen Schritt - der eine "bedeutende politische Leistung" darstellen würde, so Kielmansegg - de facto unmöglich. Bereits im kommenden Jahr findet in Nordrhein-Westfalen eine bedeutsame Landtagswahl statt, damit könne man die Erfüllung eines zentralen Wahlversprechens nicht auf irgendwann später in der Legislaturperiode aufschieben.

Letztlich sei Politik eben immer ein Wettbewerb um Zustimmung des Wählers bei künftigen Wahlen, so der Wissenschaftler. Weshalb er alle Kritik - auch seine eigene - einer grundsätzlichen Einschränkung unterwirft: Politkerschelte müsse sich immer darüber klar sein, dass Politiker auch nur im Rahmen der Regeln agieren könnten, die ihnen dieses System setzt. Wenn also der Schattenhaushalt nun auf einhellige Ablehnung stoße, würden die Politiker dies zwar berücksichtigen - aber eben unter der Fragestellung: Was schadet uns bei zukünftigen Wahlen mehr, bei unserem Vorhaben zu bleiben oder davon abzuweichen? Wie die Parteien diese Frage beantworten und ob der Schattenhaushalt also tatsächlich kommt, sei schwer vorherzusehen.


Ulrich Pontes ist Politik-Redakteur bei evangelisch.de.