evangelisch.de: Ihr Buch trägt den Untertitel "Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt". Was muss ich mir den unter einem Lohas vorstellen?
Kathrin Hartmann: Lohas ist die Abkürzung für Lifestyle of Health and Sustainability. Es geht also um einen Lebensstil, der Gesundheit und Nachhaltigkeit miteinander vereinbaren möchte. Lohas sind in der Regel Menschen, die auf Ästhetik und Luxus großen Wert legen, aber trotzdem ein gutes Gewissen haben möchten. Sie verzichten nicht auf Konsum, aber sie konsumieren – aus ihrer Sicht – unter ethischen Aspekten, kaufen also zum Beispiel im Biomarkt ein.
evangelisch.de: Was wäre also ein klassischer Lohas?
Hartmann: Man würde einen Lohas vielleicht daran erkennen, dass er unter einem Heizpilz sitzt und dort Biorindersteak aus Argentinien isst. Oder er fährt mit seinem Hybrid-Porsche vor den Biomarkt und lädt bei laufendem Motor Bionade-Kisten in den Kofferraum.
evangelisch.de: Welche Märchenstunde erzählen uns denn die Lohas mit ihrem Lebensstil?
Hartmann: Das Märchen, das die Lifestyle-Ökos und Lohas erzählen, ist, dass man die Welt, die durch schlechten Konsum böse geworden ist, durch guten Konsum wieder gut machen kann. Die Lohas glauben nicht, dass man die Welt durch politisches Engagement verändert, sondern allein dadurch, dass möglichst viele Menschen bessere Produkte kaufen. Sie nennen das "Demokratie an der Einkaufskasse". Ein Märchen ist das deshalb, weil es nie funktionieren kann. Der Lohas-Lifestyle wird nie breite Schichten erreichen, schon deshalb nicht, weil ihn sich nur wenige leisten können. Nur Bio zu kaufen, ist sehr teuer.
evangelisch.de: Zeigt nicht aber der Bio-Boom, dass man durch eine Demokratie an der Einkaufskasse durchaus Dinge ändern kann?
Hartmann: Der Bio-Boom ist ein äußerst kleiner Boom. Der Anteil des Bio-Umsatzes am Gesamtlebensmittelumsatz liegt bei doch ziemlich lachhaften vier Prozent. Der Umsatz der fair gehandelten Produkte liegt bei gerade mal einem Prozent.
evangelisch.de: Sie kaufen also selbst keine Bioprodukte?
Hartmann: Doch, Bio ist grundsätzlich besser. Aber wenn Sie sich den Bio-Boom genau anschauen, stellen Sie fest, dass auch der Bio-Kunde gern wenig Geld ausgibt. Deshalb machen ausgerechnet die Discounter das Hauptgeschäft mit Bio, die mit ihrem Preisdruck nicht nur deutsche Milchbauern in den Ruin treiben, sondern Lebensmittelproduzenten weltweit in Armut halten. Sie haben einen Anteil von 30 Prozent am Bio-Umsatz in Deutschland. Die Discounter haben ihr Handeln aber nicht geändert, sie wollen einfach am Trend mitverdienen. Und wenn der Biotrend vorbei ist, nehmen sie die Sachen wieder aus dem Regal. Plus hat zum Beispiel eine Weile fairen Kaffee angeboten, offenbar lief es aber nicht so gut und Plus hat den Kaffee wieder aus dem Sortiment genommen. Für einen Discounter ist das ein Klacks, für die Kleinbauern, die auf feste Abnahmeverträge und einen Mindestpreis für ihren Kaffe angewiesen sind, ein herber Rückschlag.
evangelisch.de: In ihrem Buch werfen Sie Bioprodukten vor, letztlich schlecht für die Umwelt zu sein. Können Sie das erklären?
Hartmann: Die Idee hinter Bio ist ja die, eine möglichst schonende, tier- und umweltfreundliche regionale Landwirtschafts zu etablieren. Der Bioboom in Deutschland hat auf die deutsche Landwirtschaft aber kaum Einfluss. Der Öko-Landbau macht in Deutschland aktuell 5,4 Prozent aus. Als Renate Künast nach dem BSE-Skandal ihre Agrarwende ankündigte, hatte sie für 2010 ein Ziel von 20 Prozent ausgegeben, davon sind wir weit entfernt. Denn ein Großteil der Bioprodukte stammt aus meist heißen südlichen Ländern: Spanien, Sizilien, Nordafrika. Der Anbau dort ist ökologisch verheerend. Denn abgesehen davon, dass der Transport dem Klima schadet, verbraucht auch Bio-Gemüse sehr viel Wasser. Es wird fast nur für den Export angebaut, damit der Lohas im Winter Tomaten mit gutem Gewissen essen kann. Damit tut er nur sich selbst was Gutes, nicht aber der Umwelt oder Gesellschaft.
evangelisch.de: Was wäre denn die Alternative zum Einkauf von Bioprodukten?
Hartmann: Es wäre wichtig, an den Kauf von Bio-Produkten eine politische Forderung zu knüpfen. Nämlich die, dass deutsche Bio-Bauern subventioniert werden, damit der Öko-Landbau vorankommt und sich auch breite Bevölkerungsschichten das leisten können.
evangelisch.de: Sie halten Lohas sogar für egoistisch?
Hartmann: Zum Teil ist es paradox, wenn der Lohas Armut und Hunger in der Dritten Welt beklagt, aber die Augen vor sozialen Problemen im eigenen Land verschließt. Dem Lohas geht es mit seinem Konsum vor allem um ein individuelles Wohlgefühl. Die Bedürfnisse eines Kunden sind aber nicht deckungsgleich mit den Problemen der Welt. Außerdem dient dem Lohas sein Einkaufsverhalten auch zur Abgrenzung von anderen, vor allem ärmeren Schichten, die "den Plastikschrott" kaufen. Das ist ziemlich überheblich, weil eben viele Menschen sich teure Produkte nicht leisten können.
evangelisch.de: Die Lohas werfen den Unterschichten also eine umweltfeindliche Lebensweise vor?
Hartmann: Indirekt ja. Es wird geschimpft auf Menschen, die Burger und Fritten essen anstatt Bio zu kaufen. Dabei leben arme Menschen in der Regel deutlich umweltfreundlicher als Lohas, zumindest was die Klimabilanz angeht. Sie haben kleinere Wohnungen, haben höchstens ein kleines Auto. Und sie fliegen nicht wie der Lohas im Urlaub in ein Ökoressort in Südostasien.
evangelisch.de: Wäre es nicht schön, wenn auch arme Menschen das tun könnten?
Hartmann: Klar. Aber ökologisch gesehen wäre es eine Katastrophe, weil der Lohas-Lebensstil sehr aufwändig ist. Fliegen ist das schlimmste für das Klima. Auch Fleisch essen ist niemals CO2-neutral, auch wenn es Bio ist. Im Grunde kann der Lohas seinen Lebensstil nur deshalb halten, weil ihn sich andere nie leisten können. Abgesehen davon lässt sich ein Lebensstil ohnehin nie auf eine Mehrheit übertragen. Die Ökos alter Schule wollten einen Lebensstil des Verzichts etablieren und sind damit auch gescheitert. Dabei hätte ein massenhafter Verzicht tatsächlich mehr Einfluss auf Gesellschaft und Klima als ein massenhafter Lohas-Konsum.
evangelisch.de: Glauben Sie, dass den Unternehmen Öko und Ethik ein wirkliches Anliegen ist?
Hartmann: Schlechtes Wirtschaften ist der Struktur geschuldet, innerhalb derer Unternehmen agieren. Darin macht nur Profit, wer billig produzieren lässt, auch Lebensmittel. Und das geht eben nur, wo man auf Umwelt- und Sozialstandards keine Rücksicht nehmen muss. Moral ist für viele Unternehmen ein Marketinggag. Man macht eben ein paar schöne Öko- oder Sozial-Projekte und nimmt ein paar Bio-Produkte ins Sortiment, lässt aber ansonsten alles beim alten. Wenn etwa der Handelskonzern Metro in der Ukraine Kinderheime unterhält, aber trotzdem Waren in Bangladesh produzieren lässt, macht das die Welt kein bisschen besser.
evangelisch.de: Die Unternehmen gaukeln den Kunden also eine schöne Welt vor?
Hartmann: Mehr als das. Sie bringen sich mit ihrem angeblichen Sozial- und Öko-Engagement auch aus der Schusslinie von Gesellschaft und Politik. Die Unternehmen gaukeln uns vor, sie kümmerten sich selbst um die Probleme, für die sie verantwortlich gemacht werden. Eine Veränderung wäre aber nur möglich, wenn die Politik Gesetze und Standards vorschreiben würde. Durch ihre Projekte wollen die Unternehmen aber verhindern, dass die Politik solche Gesetze erlässt.
evangelisch.de: In ihrem Buch behaupten Sie, Deutschland befinde sich in einer Post-Demokratie. Was muss man sich darunter vorstellen?
Hartmann: Der Begriff stammt von dem britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch. Mit Postdemokratie meint er eine "eingeschlafene Demokratie". Wir gehen zwar wählen, aber es gibt keine wirkliche demokratische Beteiligung der Bürger mehr, was dazu führt, dass Gesetze von Lobbyisten bestimmt werden. Die Politik macht ihre Angebote auch nach konsumistischen Prinzipien. Sie reagiert auf Umfragen und kurzfristige Wählerwünsche. Neue Angebote und Ideen, vielleicht andere Gesellschaftsentwürfe, werden nicht mehr gemacht.
evangelisch.de: Wie sollten die Bürger denn darauf reagieren, alternativ zum Biokonsum?
Hartmann: Man muss sich bewusst machen, dass man als Bürger mehr Macht hat als als Konsument. Man muss sich engagieren, demonstrieren und vielleicht eine Bürgerinitiative gründen. Man muss sich, im übertragenen Sinne, wieder an Bäume ketten. Das macht die Welt besser. Und übrigens macht es auch große Freude. Sich gemeinsam mit anderen für eine Sache zu engagieren und zu kämpfen, ist ein sehr schönes Gefühl. Und auch, wenn man nicht sofort mit seinem Anliegen Erfolg hat, ist es ein Gewinn für einen selbst und die Gesellschaft.
"Ende der Märchenstunde - Wie die Industrie Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt", München 2009, Karl Blessing Verlag, 384 S., 16,95 Euro
Kathrin Hartmann, geboren 1972 in Ulm, studierte Philosophie, Skandinavistik und Kunstgeschichte. Sie arbeitete als Journalistin unter anderem für die "Frankfurter Rundschau", "die tageszeitung", und "Titanic". Von 2006 bis 2009 war sie Redakteurin bei "Neon".