Frage: Herr Klaußner, was hat Sie an der Filmrolle des Pfarrers gereizt?
Burghart Klaußner: Vieles hat mich gereizt, das genaue Drehbuch, die geschichtliche Situation. Es hat mich gereizt, eine historische Gestalt zu spielen, die vor hundert Jahren gelebt hat, diesen Menschen mit einem starken Wunsch nach Disziplin. Einen, der sich Sexualität und vor allem Liebe versagt.
Frage: Wie würden Sie die Figur dieses Dorfpfarrers charakterisieren?
Klaußner: Dieser Pfarrer ist gefangen in einem Korsett falschen Denkens. Tief in sich spürt er, dass es nicht richtig ist, was er tut. Aber er weiß es nicht besser.
Frage: Die Ambivalenz in der Figur des Dorfpfarrers – glauben Sie, dass das ein strukturelles Problem der Kirche spiegelt? Der Pfarrer, der Autoritätsperson, ethisches Vorbild, Hirte, Seelsorger und Tröster zugleich sein soll, den gibt es ja noch heute!?
Klaußner: Das ist eine interessante Frage. Und was verändert sich, wenn plötzlich auch Frauen ordiniert werden? Da hat sich zumindest die protestantische Kirche ja bereits weiterentwickelt. Aber es bleibt zu fragen: Braucht es den Pfarrer als Führungsfigur? Brauch es diesen Vorsteher? Braucht es überhaupt die Institution Kirche, diese Hierarchie? Was wäre, wenn es stattdessen mit dem Metaphysischen wie mit Lebensmitteln wäre? Etwas Selbstverständliches, eine metaphysische Bedürfnisbefriedigung.
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Frage: Sie meinen so eine Art metaphysische Grundversorgung?
Klaußner: Ja, wenn Metaphysisches und Natürliches ganz selbstverständlich zusammenkämen, dann erführen wir vielleicht einmal so etwas wie das Aufgehobensein in der Gewissheit.
Frage: Hat sich Ihr Blick auf die Kirche durch die Dreharbeiten für den Film "Das weiße Band" verändert?
Klaußner: Ich habe mich dadurch stärker mit dem Protestantismus auseinandergesetzt. Wie lust- und lebensfeindlich die protestantische Kirche sein kann – stärker als die katholische Kirche –, das war mir früher nicht so aufgefallen. Da sah ich eher die intellektuellen Vorzüge des Protestantismus. Die Tragödie ist ja, wie viel Kraft notwendiger Protest kostet. Kraft, die uns dann, wenn die Protesthaltung erstarrt, zum Leben fehlt.
Frage: Wer Hanekes Film sieht, kann daraus die Botschaft lesen, dass die evangelische Kirche eine erhebliche Mitschuld an der Entwicklung zum Faschismus im 20. Jahrhundert trug. Würden Sie dem zustimmen?
Klaußner: Natürlich hatten auch die Kirchen eine Mitschuld an dieser Entwicklung. Aber ist Schuld hier überhaupt eine zulässige Kategorie? Ist es nicht ein wenig lächerlich, Geschichte nach moralischen Gesichtspunkten beurteilen zu wollen? Nach dem Motto: "Ich bin heute noch sauer auf Alexander den Großen." Zu viele Ursachen spielen hier in eins.
Frage: Würden Sie dennoch sagen, dass "Das weiße Band" ein aufklärerischer Film ist?
Klaußner: Jeder Film, der sich ernsthaft mit der Vergangenheit auseinander setzt, ist aufklärerisch, indem er uns an die Quellen führt. So ist auch "Das weiße Band" ein aufklärerischer Film. Andere Filme sind jedoch nicht so radikal wie "Das weiße Band" in der These, welche Rolle die Gewalt in der gesellschaftlichen Erziehung zu Beginn des Jahrhunderts gespielt hat. Gewalt und Obrigkeitstreue wirkten zusammen. Kirche und Staat führten gemeinsam. Ich habe Zuschauer getroffen, die sich erleichtert äußerten, nicht mehr im Jahre 1914 leben zu müssen. Sie erkannten offenbar eine zivilisatorische Entwicklung.
Frage: Aber es bestehen doch auch Kontinuitäten, oder?
Klaußner: Ja, Autoritäten durchdringen noch immer unsere Gesellschaft – mit all ihren Verboten. Manchmal ist das geradezu unerträglich. Nur dass sie nicht mehr mit dem obrichkeitsstaatlichen Mäntelchen bedeckt sind. Aber: Preußen bleibt Preußen.
Frage: Und wie ist es mit Kontinuitäten in der Erziehung?
Klaußner: Bis heute gibt es diese falschen Auffassungen zur Erziehung. Wenn man selbst Kinder erzieht, übernimmt man ja zunächst die Muster der Eltern. Wir sind noch nicht weit genug weg von der Meinung, Kinder auch mit Gewalt kontrollieren zu müssen. Auch ich hab einmal so gedacht. Die Liebe in der Erziehung habe ich von meiner holländischen Ehefrau gelernt. Ja, da musste erst eine Atheistin kommen, dem Christen das beizubringen.
Frage: Sind Sie selbst in christliche Tradition aufgewachsen?
Klaußner: Ich bin konfirmiert. Aber in die Kirche ging man nur zu Weihnachten oder es wurde kirchlich geheiratet – christliches Bürgertum halt. Heute gehöre ich keiner Kirche mehr an.
Frage: Erwarten sie dennoch noch etwas von der Kirche?
Klaußner: Mit Christoph Schlingensief war ich mir kürzlich in einem Gespräch einig, dass die Kirche seit Jahrhunderten ihre ureigenste Aufgabe verfehlt, nämlich ein glaubhaftes Gottesbild zu vermitteln. Stattdessen täuscht sie die Menschen mit Gaukeleien. Der Film "Das weiße Band" könnte eine guter Anlass sein, darüber in der Kirche nachzudenken.
"Das weiße Band" wurde von der Jury der Evangelischen Filmarbeit zum "Film des Monats" gewählt.
Burghart Klaußner, geboren 1949 in Berlin, ist als Schauspieler bekannt durch zahlreiche Fernseh- und Kinofilme wie "Der Vorleser", "Good Bye, Lenin!" sowie "Adelheid und ihre Mörder". Für seine Rolle als entführter Unternehmer in "Die fetten Jahre sind vorbei" (2004) bekam er den Deutschen Filmpreis verliehen. Als Theater-Schauspieler war er bereits an vielen großen Bühnen unter anderem in Berlin, Frankfurt a. M., Stuttgart und Hamburg tätig.