Kindergottesdienst: Auf den Schwingen des Adlers
Rund 190.000 Kinder besuchen nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) jede Woche einen Kindergottesdienst. Dabei bringen auch im digitalen Zeitalter noch herkömmliche Methoden die Augen zum Leuchten. Im Wettbewerb der Technik ist Entspannung angesagt.
16.10.2009
Von Stefan Becker

Die frohe Botschaft zuerst: Kinder gehen auch heute gerne in die Kirche und haben Spaß am eigenen Gottesdienst – wenn die Geschichten spannend sind und packend erzählt werden. Und diese Erkenntnis entspricht exakter Empirie. Zwar repräsentiert sie primär die Erfahrungen des Pfarrers Alexander Schweizer aus Simmersfeld, doch der Theologe weiß, wovon er spricht: Seit 23 Jahren gestaltet er Kindergottesdienste und entwickelt Konzepte dafür. "Nach der Konfirmation wurde ich sozusagen ins kalte Wasser geworfen und habe schnell gemerkt, dass man die Inhalte nicht so einfach aus dem Ärmel schüttelt, sondern Programme bieten muss, die den unterschiedlichen Altersgruppen auch gerecht werden."

An so einem Programm arbeitet dieses Wochenende mit den vereinten Kräften von 3.000 Besuchern der Gesamtverband für Kindergottesdienst in der EKD auf seiner Tagung in Erfurt. Alle vier Jahre trifft sich die Arbeitsgemeinschaft zum großen Gedankenaustausch der Praktikerinnen und Praktiker. Dieses Jahr steht der dreitägige Kongress unter dem Motto "AufSchwingen - getragen und frei" und bietet fast 200 Veranstaltungen zum Thema. Das große Finale am Sonntag gilt dem gemeinsamen Feiern eines modernen Kindergottesdienstes auf dem Gelände der Messe.

Analoges Geschichten-Erzählen toppt digitalen Hype

Dabei fragen sich schon heute viele der ehrenamtlichen Mitarbeiter, ob demnächst auch digitale Medien wie Spielkonsolen zum Kirchen-Inventar gehören müssen, damit die Kirche für den Nachwuchs interessant bleibt. Doch Schweizer winkt ab und signalisiert Entspannung im Wettbewerb der Technik.

"In den 80ern fürchteten viele Kirchenleute das Fernsehen und bangten um die Attraktivität des eigenen Angebots", erklärt der Kinderkirchen-Spezialist. "Was den Kindern aber viel viel wichtiger ist, wir spüren das in dieser Zeit ganz besonders, das sind Zeit und Aufmerksamkeit. Wenn wir mit den Kindern ins Gespräch kommen, dann sind wir einfach konkurrenzlos."

Dabei nutzt Schweizer selbst intensiv die digitale Technik: Im Internet bietet er rund ums Thema Kindergottesdienst ein komplettes Tutorium an. "Im Monat haben wir gut 1.000 Downloads, das Interesse an Kinderarbeit steigt stetig und manchmal bekommen wir auch Ideen zurück, die wir dann wieder auf der Seite wieder allen zur Verfügung stellen." Doch habe auch die beste Idee nur eine Chance, wenn sie engagiert umgesetzt werde, sagt Schweizer.

Christlicher Kinderclub im Brennpunktviertel

Während Dorfpfarrer Schweizer im Schwarzwald die Sprache der Kinder spricht, dort wo der Gottesdienstbesuch für viele noch etwas Normales ist, versucht in Marburg der Christus-Treff unter ganz anderen Bedingungen das Gleiche. In der hessischen Stadt leben viele Kinder konzentriert im Stadtteil Richtsberg - der gilt mit seinen Hochhäusern und vielen Migranten als sozialer Brennpunkt und eher weniger als Ort für Kindergottesdienste. "Wir haben auf dem Richtsberg eine Wohnung angemietet, dort leben zwei unserer Mitglieder", erklärt Michael Mohrmann. "In den Räumen haben wir einen Kinderclub eröffnet, zu dem alle Kinder eingeladen sind, dabei spielt der Glaube keine Rolle.“ Zwar arbeitet Mohrmann in der Zentrale der ökumenischen Gemeinschaft, doch ist er mit der Realität von Richtsberg vertraut.

"Die Kinder kommen am Sonntag nicht einfach mal so zum Kindergottesdienst." Deswegen habe man sich im Christus-Treff bewusst entschieden, dorthin zu gehen und für die Kinder da zu sein, erzählt der Büroleiter. "Ob beim Einkaufen oder einfach so auf der Straße, man trifft sich stetig und so kann sich auch Vertrauen entwickeln." Sind die Eltern dabei nicht skeptisch? "Die Eltern sind sehr skeptisch, doch wenn die Kinder begeistert sind, dann sind es auch bald die Eltern und sie schenken uns ebenfalls ihr Vertrauen. Sie kommen vorbei und sehen, was wir so alles machen", sagt Mohrmann. Dazu zählt Sprayen und Kickern, Geländespiele und Lagerfeuer, Fußball-Turniere - und jeden Freitagnachmittag in der Thomaskirche eine kleine Einheit im Namen des Herrn. Mit cooler Musik, wie sie auch jeden Sonntag für die Kinder gespielt werde. Und vielen Geschichten.

Vom Erzählseminar zur Kinderbibel-Nacht

Um Geschichten dreht sich auch alles bei der Kinderbibel-Nacht in Innsbruck. "Die Kinder haben sich das gewünscht und dann haben wir das auch so gemacht", erzählt Judith Binder von der Innsbrucker Christuskirche. Obwohl die Zahl der Protestanten im heiligen Land Tirol sehr überschaubar ist, gönnt sich die Kirche eine Vollzeitkraft für die Kinder. Damit das Geschichten-Erzählen nicht plötzlich auf der Strecke bleibt, weil jemand den Ort wechselt. "Wir schicken unsere Mitarbeiter zu speziellen Erzähl-Seminaren, damit die Qualität einfach passt", sagt Judith Binder.

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Und genauso wichtig wie das Erzählen sei das Zuhören, sagt sie. Das draußen in der Natur oft viel besser funktioniere als in einem Gemeindesaal. Darum wandert die kleine Kinderschar regelmäßig in den Bergen. Wo sich mit viel Glück auch der Adler beobachten lässt, das Wappentier von Tirol, Österreich und Deutschland. Aktuell das große Thema für die kommenden Kindergottesdienste voller Geschichten.


Stefan Becker ist freier Journalist und Fotograf und lebt in Innsbruck und Hamburg.