Unsichtbare Spione: Big Brother Awards gehen in zehnte Runde
Wenn Frau Müller den Supermarkt betritt, kennen die Verkäuferinnen bereits ihre Geheimnisse. Sie wissen, dass die Kundin sich offenbar Gedanken über ihr Alter macht, ein bisschen zu viel Süßes isst und sich nach einem Traumprinzen sehnt.
16.10.2009
Von Holger Spierig

Das verraten die Informationen der Einkäufe, die mit dem Bezahlen über ihre Kundenkarte in der Datenbank des Supermarktes gespeichert werden: Anti-Falten-Creme, Schokoriegel und historische Liebesromane. Zusätzlich hatte der Supermarkt heimlich einen speziellen Chip in die Kundenkarten eingebaut, der wie ein kleiner Spion Daten sendete und so die Identifizierung der Person möglich machte.

"10.000 Kundinnen und Kunden liefen mit einer verwanzten Karte herum, ohne es zu wissen", erklärt Rena Tangens von der Datenschützer-Initiative FoeBuD. Die Organisation deckte den Einsatz dieses "RFID"-Chips auf den Kundenkarten auf und organisierte so lange Proteste, bis das Unternehmen die Karten zurückzog. Um solche bedrohlichen Entwicklungen öffentlich zu machen, vergibt FoeBuD einmal im Jahr in Bielefeld die "Big Brother Awards". Dieses Mal feiern die Veranstalter zugleich die zehnte Vergabe: Im Jahr 2000 wurden die "Big Brother Awards" erstmals in Deutschland vergeben.

Digitale Welt: Datenspur auf Schritt und Tritt

"Das Problem der Digitalisierung ist, dass wir auf Schritt und Tritt eine Datenspur hinterlassen", erklärt Tangens. Sie und ein unter dem Künstlernamen "padeluun" auftretender Bielefelder sind die Gründungsmitglieder des Vereins zur Förderung des öffentlich bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD). Der Name des Preises ist George Orwells Negativutopie "1984" entlehnt, mit der der britische Schriftsteller vor einem totalitären Überwachungsstaat warnte.

Einzelne Datenspeicherungen an der Supermarktkasse oder im Internet wirken auf den ersten Blick harmlos. Werden die unterschiedlichen Daten jedoch zusammengefügt, kann ein genaues Profil entstehen. Mit "Payback"-Karten sollen laut offizieller Werbung die Kunden Spaß haben, Punkte sammeln und Geld sparen. Die damit verbundene Preisgabe von Daten diene jedoch einzig dazu, personalisierte Daten zum Kaufverhalten von Tausenden Verbrauchern zu gewinnen und kommerziell zu nutzen, warnte FoeBuD bei der "Auszeichnung" der Rabattkarte im Jahr 2000. "Wer ständig bespitzelt und mit speziell auf ihn abgestimmte Werbung begleitet wird, kann leicht manipuliert werden", betont Tangens.

Galas mit ausführlichen Lobreden

Die aus Großbritannien stammenden "BigBrotherAwards" sind ein internationales Projekt: mittlerweile werden die Auszeichnungen in 19 Ländern vergeben. In Deutschland werden jedes Jahr bis zu acht "Preise" in verschiedenen Kategorien vergeben. Eine Jury aus Menschenrechtlern, Computerexperten sowie Daten- und Verbraucherschützern wählt aus den bundesweit eingesandten Vorschlägen die Preisträger aus. Dass seit zehn Jahren lediglich zwei der ausgezeichneten Unternehmen den Preis in Empfang genommen haben, schmälert die jährliche Feier nicht. Auf den Galas werden Jahr für Jahr die Preisträger mit ausführlichen "Lobreden" bedacht.

Die Preisskulptur, eine von einer Glasscheibe durchtrennte und mit Bleiband gefesselte Figur, ging in den vergangenen Jahren wegen Datenschnüffelei unter anderem an die Deutsche Telekom, die Bahn und das Mautsystem "Toll Collect". Bei der Vergabe des "BigBrotherAwards" lässt sich die Initiative auch nicht von großen Unternehmen einschüchtern. Die Supermarktkette Lidl habe in einem Einschreiben am Tag der Preisverleihung verklausuliert sogar mit einer Klage gedroht, als sie 2004 wegen Ausspähens ihrer Mitarbeiter unter den Preisträgern war. "Wir haben den Preis selbstverständlich trotzdem verliehen", sagt Tangens. Zu einer Klage sei es jedoch weder in Sachen Lidl noch bei anderen Preisträgern gekommen.

Internet: www.bigbrotherawards.de

epd