Der Winter kommt früh, ist aber nicht von Dauer
Der Oktober ist diesmal ein Monat der Extreme: herrliches Spätsommerwetter zu Beginn, nun aber Schnee und Rekord-Minustemperaturen. Haben die Jahreszeiten den Herbst vergessen?
16.10.2009
Von Bernd Buchner

"Die Blätter fallen, fallen wie von weit", heißt es in einem Herbstgedicht von Rainer Maria Rilke. Doch in diesen Tagen sind andere Zeilen des berühmten Lyrikers angesagt: "Unter Wintern ist einer so endlos Winter, dass, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht." Die derzeitige Kälte überstehen viele nur mit dickem Mantel, Schal und Handschuhen – in Deutschland herrschen Minusgrade, Schnee sorgt vom Allgäu bis Sachsen für weiße Landschaften.

Frostige Wetterkapriolen im Oktober: Dabei hatten Klimaforscher doch verkündet, durch Treibhauseffekt und Erderwärmung seien in Mitteleuropa künftig eher milde und weithin schneefreie Winter zu erwarten. Weit gefehlt. Denn erstens bleibt der Winter kalt und zweitens folgt er jetzt unmittelbar auf den Sommer – passend zu den Lebkuchen und Weihnachtstalern, die schon seit September in den Regalen der Supermärkte liegen.

"Übergangskleidung"? Überflüssig

Dafür bleiben Modehäuser auf ihren Herbstkollektionen sitzen: "Übergangskleidung" braucht keiner mehr, die Lücke zwischen Sommer- und Winterschlussverkauf wird immer kleiner. Auf den Straßen gibt es statt Nieselregen Schneeverwehungen, die Räumdienste kramen rasch ihre Salzvorräte hervor, um unfreiwillige Rutschpartien auf glattem Asphalt zu verhindern. Einzig die Kinder freuen sich: Die sogenannten Herbstferien laden zur fröhlichen Schlittenpartie ein.

Die Menschen nehmen den vorzeitigen Winter scheinbar gelassen. Im Büro hält man sich warm, auf der Straße nicht lange auf. Radfahrer fahren weiter Rad, Zugfahrer harren geduldig in liegengebliebenen Waggons aus, verschnupfte Nasen in der Straßenbahn werden in Kauf genommen, die Zahl der Impfungen gegen alte oder neue Grippe hat bisher nicht zugenommen. Wer kann, treibt Wintersport: In Österreich etwa hat die Skisaison vorzeitig begonnen, die Lifte sind gut gefüllt.

Advent ist im Dezember

Doch so endlos ist der vorzeitige Winter auch wieder nicht: Zwar soll das trübe und sehr kühle Wetter noch einige Tage andauern, aber danach versprechen uns die Meteorologen die Rückkehr des Herbstes – mit allen seinen Farben. Mit Rot, Gelb, Grün, mit Duft von spätem Laub. Kälte, Frost und Lebkuchen werden verschoben. Denn Advent ist im Dezember, Winter auch. Wenn die Flockenherde, wie Rilke dichtet, "wächst entgegen der einen Nacht der Herrlichkeit".


An alle Herbst-Fans und Herbst-Hasser: Herzliche Einladung, sich mit einer Tasse Tee warm einzukuscheln und in der Community über diese besondere Jahreszeit ins Gespräch zu kommen.