Aus Schlüsselerlebnissen wie diesem hat Frau Öktem ihre Motivation bezogen für ihre Arbeit bei JuMBO, einer Hamburger Initiative gegen Arbeitslosigkeit bei jungen Migranten. "JuMBO ist nicht am grünen Tisch entstanden, sondern aus meiner Erfahrung mit meinem eigenen Migrationshintergrund."
JuMBO - die Abkürzung steht für Jugend und Migration, Beruf und Orientierung - hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund durch ein mehrstufiges, insgesamt etwa ein Jahr langes Trainingsprogramm den Weg in die Ausbildung zu ebnen. Dabei werden während einer Orientierungsphase in Assessment-Centern und persönlichen Gesprächen zunächst Neigungen und Stärken herausgearbeitet. Es gibt Bewerbungstrainings, daneben werden die ersten praktischen Erfahrungen in Arbeitsprojekten von JuMBO gesammelt. Der dritte Schritt führt die Teilnehmer dann hinaus in Betriebe, um dort Praktika zu machen.
Migrationshintergrund als Stärke
Bei all dem ist es den Machern des Programms wichtig, den Migrationshintergrund als besondere Stärke einzubeziehen und so der Tendenz entgegenzuwirken, dass die Kinder von Einwanderern es auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben als junge Menschen mit deutschen Eltern. Dass diese Tendenz gerade in Deutschland besteht, hat eine aktuelle OECD-Studie herausgefunden (siehe Artikel Migrantenkinder haben es auf dem Arbeitsmarkt schwerer).
Bei JuMBO bietet sich ein anderes Bild. Nicht nur Frau Öktem, die Leiterin des Projekts - selbst spricht sie übrigens lieber von einem "Experiment", weil das offener und beweglicher klingt - stammt von Einwanderern ab. Alle im Team haben selbst einen Migrationshintergrund oder eigene Migrationserfahrungen. Deshalb kann das Programm die Zielgruppe anders ansprechen als kulturell Außenstehende. Bei JuMBO spricht man daher von "eigenkultureller Sozialarbeit".
Förderpreis für JuMBO
"Wenn die Teilnehmer zu uns kommen, haben sie in der Regel schon mit vielen Formen der Diskriminierung Erfahrungen gemacht. Davor müssen sie hier keine Angst haben. Die jungen Menschen werden bei uns als 'selbstverständlich anders' ernst genommen", erklärt die Leiterin.
Ein Konzept, das offenbar Erfolg bringt: Obwohl es JuMBO erst seit März 2006 gibt, ist das Team mittlerweile schon auf 30 Mitarbeiter angewachsen. Auch bei den Teilnehmern - jungen Türken und Kurden, Afghanen, Irakern und Russen - steigen die Zahlen. In dem Berufsvorbereitungsprogramm gibt es 100 Plätze - Frau Öktem zufolge haben seit Gründung zwischen 300 und 400 Teilnehmer profitiert. Nicht jeder hat dabei das Programm bis zum Ende durchlaufen, manch einer findet schon vorher einen Ausbildungsplatz.
Erst vor wenigen Tagen gewann JuMBO den mit 20.000 Euro dotierten ersten Platz des Deichmann-Förderpreises für Initiativen gegen Jugendarbeitslosigkeit. (Das Bild rechts zeigt Mitarbeiter von JuMBO bei der Preisverleihung, darunter Ay?e Öktem (2. v. r.).)
"Platz in dieser Gesellschaft erst erkämpfen"
Öktems eigene Biographie ist mit einem bildungsbürgerlichen Hintergrund ganz untypisch für ein Kind der ersten Einwanderergeneration. Als Fünfjährige kam sie Mitte der 60er Jahre mit ihren Eltern, einem Psychiater und einer Kunsthistorikerin, aus Istanbul nach Deutschland. An der Schule war Diskriminierung noch kein Thema. "Auf dem Gymnasium gab es zu dieser Zeit überhaupt keine türkischen Kinder. Da war ich die Exotin", erzählt Ay?e Öktem.
Für die Zielgruppe ihres Projektes sieht das heute anders aus. "Sie muss sich einen Platz in dieser Gesellschaft erst erkämpfen", sagt Ay?e Öktem. Wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit ist es darum, bei der Bewältigung typischer Schwierigkeiten zu helfen, mit denen Jugendliche mit Migrationshintergrund bei ihrer beruflichen Orientierung konfrontiert werden.
Frau Öktem veranschaulicht das am Beispiel eines afghanischen Mädchens, das die Vorurteile und Unsicherheiten ihrer deutschen Erzieher und Lehrer vordergründig für sich zu nutzen wusste. Ihrer Lehrerin hatte sie erzählt, dass ihr Vater gewalttätig werden würde, wenn sie ihren Hauptschulabschluss nicht mit nach Hause brächte. Die Pädagogin glaubte das, und auf diesem Wege ist das Mädchen ohne große Anstrengungen zu ihrem Abschluss gekommen. Die Lehrerin konnte die Situation der Jugendlichen nicht realistisch einschätzen und fürchtete, einen folgenschweren Fehler zu machen, wenn sie ihr den Schulabschluss verweigert hätte.
Ungerade Lebensläufe als Vorbild
Erst bei JuMBO gelang es einer afghanischen Mitarbeiterin, die mit dem kulturellen Hintergrund vertraut war, ganz allmählich, ein Gespür für deren familiären Verhältnisse zu entwickeln. Sie fand schließlich heraus, dass der vermeintlich gewalttätige Vater in Wirklichkeit eine Ausflucht war, um sich den Herausforderungen einer fremden Umwelt nicht stellen zu müssen. Erst jetzt konnte man daran gehen, mit dem Mädchen gemeinsam eine berufliche Perspektive zu entwickeln.
"Eigenkulturellen Sozialarbeitern gelingt es viel eher, zu beurteilen, was in den Familien tatsächlich los ist", erläutert Frau Öktem. Zugleich agieren die Mitarbeiter als Vorbild für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Gerade auch die "ungeraden und stufigen" Lebensläufe der Pädagogen zeigten ihnen, dass es viele Möglichkeiten gebe, seinen Platz in der Gesellschaft zu suchen und zu finden, so die engagierte Projektleiterin.
Neben Bewerbungstrainings und Deutschkursen bezieht JuMBO auch Theaterelemente in sein Programm ein. Einmal im Jahr wird ein Stück gemeinsam erarbeitet, geprobt und aufgeführt. Theaterarbeit ist Körperarbeit: Es geht um die richtige Haltung, Atemtechnik und Sprechen, Fähigkeiten also, die den Teilnehmern auch bei der Jobsuche und später im Beruf helfen können. Zugleich fördern sie auch das Selbstbewusstsein - wie bei dem russisch-stämmigen Jugendlichen ein, der anfangs so stark stotterte, dass man ihn kaum verstehen konnte. Dennoch nahm er die Herausforderung des Theaterprojekts an, probte, stotterte schließlich bei der Aufführung des fast überhaupt nicht mehr. "Jetzt macht er eine Ausbildung zum Tischler", sagt Frau Öktem stolz.
Mehr als Hilfe bei Jobsuche
Das pädagogische Konzept von JuMBO zielt nicht nur auf kurzfristige Erfolge bei der Jobsuche ab. Vielmehr versucht es, die ganze Persönlichkeit in den Blick zu nehmen und nach Möglichkeit weiterzuentwickeln. Dazu passt, was Ay?e Öktem von den beiden Mädchen erzählt, die an ihrem Programm teilgenommen haben. Im Rahmen des Einführungskurses müssen alle Teilnehmer auch eine Powerpoint-Präsentation vorbereiten. Einmal stellten sich dabei eine junge Türkin und eine Kurdin gegenseitig den anderen vor. Die eine ganz schick gekleidet und traditionell mit Kopftuch, die andere ohne Kopftuch und eher leger angezogen. Die beiden berichteten davon, wie sie sich während ihrer Zusammenarbeit besser kennengelernt hätten, einander näher gekommen seien und Vorurteile gegenüber der jeweils anderen abgebaut hätten.
Die Leiterin von Jumbo ist davon überzeugt, dass die beiden ihre Erfahrungen weitertragen werden, in ihre Freundeskreise und Familien. "Ich glaube", sagt Ay?e Öktem, "dass man mit so einer sozialen Arbeit die Welt verändern kann."