Seit Monaten wird über eine erneute Berufung von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender gestritten, am Mittwoch bekam er nun in Köln den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus. Der Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Frank Schirrmacher, kritisierte bei dieser Gelegenheit die Einmischung von Politikern aus dem ZDF-Verwaltungsrat scharf. Unter anderem hatte sich der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) gegen eine erneute Berufung Brenders ausgesprochen.
"Es geht hier um die Gefahr eines Eingriffs in die DNA, in das Erbgut, des Senders", sagte Schirrmacher. Ministerpräsidenten sollten überhaupt nicht in Verwaltungsräten von öffentlich-rechtlichen Sendern sitzen und über die Verträge eben der Journalisten entscheiden, die anschließend wieder kritisch über sie berichten sollten. «Es geht um die Demarkationslinie zwischen Journalismus und politischer Macht», sagte Schirrmacher. Hier werde eine elementare Grenze überschritten.
Brender habe gezeigt, was kritischer Journalismus bedeuten könne. Schirrmacher verwies auf die Berliner Runde am Abend der vorletzten Bundestagswahl 2005, als Brender Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in die Schranken gewiesen hatte. «Brenders Elefantenrunde ist Kult bei You Tube.» Wenn junge Mediennutzer jetzt feststellen müssten, dass kritische Journalisten von Politikern gekippt würden, könnte dies ihr Bild vom Journalismus generell sehr negativ beeinflussen.
Einfluss der Politik
Auch Brender betonte, es gehe hier nicht nur um ihn, es gehe um die Frage des Einflusses der Politik auf das Fernsehen und auf die Medien insgesamt. Er dankte dem ZDF-Intendanten Markus Schächter dafür, dass dieser zur Preisverleihung nach Köln gekommen war. Die Jury hatte ihre Entscheidung mit Brenders unabhängiger Haltung begründet: "Er hält Distanz und macht sich nicht gemein, ganz im Sinne des ehemaligen Tagesthemen-Moderators Hanns Joachim Friedrichs."
Der aktuelle Streit über ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender macht deutlich, wie stark die Möglichkeit politischer Einflussnahme bereits in der Grundstruktur des ZDF verankert ist. Beide Kontrollorgane des ZDF, Fernsehrat und Verwaltungsrat, liefern in ihrer Zusammensetzung ein ziemlich exaktes Abbild der Machtverhältnisse in den Bundesländern, und dort dominiert zurzeit die Union. Im ZDF-Staatsvertrag haben die Länder festgelegt, welche Funktionen die Aufsichtsgremien haben und wer einen Sitz darin
beanspruchen kann.
Der Fernsehrat hat die Aufgabe, für die Sendungen des ZDF Richtlinien aufzustellen und das Programm zu überwachen. Außerdem obliegt dem Gremium die Wahl des Intendanten, die mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit erfolgen muss. Derzeit besteht der Fernsehrat aus 77 Mitgliedern, die - so jedenfalls der Grundgedanke - unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen vertreten.
Ungebundene Vertreter?
Tatsächlich werden aber 72 der 77 Fernsehratsmitglieder von der Politik bestimmt. Zwar können Verbände und Organisationen - wie der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Bundesverband Deutscher
Zeitungsverleger oder der Deutsche Olympische Sportbund - ihre Vertreter selbst vorschlagen. Berufen werden sie allerdings durch die Ministerpräsidenten, die sie auch wieder abberufen können. So relativiert sich die Vorschrift des Staatsvertrags, wonach Fernsehratsmitglieder "an Weisungen nicht gebunden" sind. Lediglich die evangelische und die katholische Kirche sowie der Zentralrat der Juden können ihre Vertreter selbst bestimmen.
Ähnlich sieht es im Verwaltungsrat aus. In dem 14-köpfigen Gremium, das die Tätigkeiten des Intendanten überwachen und über Spitzenpersonalien wie im Fall Brender mitentscheiden soll, sitzen mit Roland Koch, Edmund Stoiber und Peter Müller drei amtierende oder ehemalige Unions-Ministerpräsidenten, als Vertreter des Bundes ist zudem Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) an Bord. Die SPD stellt mit den Länderchefs Kurt Beck und Matthias Platzeck zwei Mitglieder.
Die übrigen acht Mitglieder des Verwaltungsrats dürfen laut Staatsvertrag nicht in einer Regierung oder gesetzgebenden Körperschaft sitzen. Da sie aber vom Fernsehrat gewählt werden, können auch sie in der Regel einem der politischen Lager zugeordnet werden. Diese Lager heißen beim ZDF traditionell "Freundeskreise". Im Fernsehrat versammelt der "Freundeskreis Bergmann" - benannt nach der ehemaligen Bundesministerin Christine Bergmann - Mitglieder, die der SPD angehören oder ihr nahestehen. Der "Freundeskreis Jung", benannt nach Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), ist der unionsnahe Kreis.
Kompromisskandidat Schächter
Viele Gremienentscheidungen im ZDF werden vorher in den Freundeskreisen abgestimmt. Das hat dem Sender immer wieder die Kritik eingetragen, zu nah am Staat zu sein. So stuften viele Medienbeobachter die Prozedur bei der Intendantenwahl im Jahr 2002 als peinlich ein. Über Monate blockierten sich die beiden Freundeskreise im Fernsehrat, so dass weder die "roten" noch die "schwarzen" Kandidaten die erforderliche Mehrheit bekamen. In vier Wahlgängen scheiterten neben anderen der jetzige HR-Intendant Helmut Reitze, den die Unionsseite favorisierte, und der damalige Programmdirektor der ARD, Günter Struve, den der SPD-Kreis ins Spiel brachte.
Den heutigen ZDF-Intendanten Markus Schächter hatte kaum jemand auf der Rechung. Er war im fünften Wahlgang mit 51 Ja-Stimmen der Kompromisskandidat, der - wiewohl unionsnah - für beide Freundeskreise tragfähig war. 2005 wurde Schächter mit 60 Stimmen für eine Amtszeit bis 2012 wiedergewählt.
Vorschlagsrecht
Jetzt, wo über die Vertragsverlängerung des Chefredakteurs entschieden werden muss, hat der Intendant das Vorschlagsrecht. Schächter hat sich zu Brender bekannt. Doch die unionsnahe Mehrheit im Verwaltungsrat - angeführt vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch - lehnt Brender ab. Zwar schwanken einige der offiziell nicht politisch festgelegten Ratsmitglieder, ob sie Koch folgen sollen, aber für eine Drei-Fünftel-Mehrheit zugunsten von Brender bräuchte Schächter vier Stimmen aus dem Unionslager. Nach Auskunft des ZDF wäre es dass erste Mal, dass eine vom Intendanten vorgeschlagene Personalie dieser Größenordnung durchfällt.
epd/rid/dpa