Aneta – die sich diesen Namen ausgesucht hat, weil sie aus Sicherheitsgründen ihren wirklichen Namen nicht nennen kann - kommt aus ärmlichen Verhältnissen, gehört zur türkischen Minderheit in Bulgarien, kann weder lesen noch schreiben und kommt aus einem Wohnviertel, das den Mitarbeiterinnen der Dortmunder Mitternachtsmission nun allzu bekannt ist: „Von dort kommen viele Prostituierte und Opfer von Menschenhandel“, sagt Andrea Hitzke, die stellvertretende Leiterin der Mitternachtsmission. Der Verein kümmert sich um die Prostituierten in Dortmund, hilft ihnen ganz praktisch und unterstützt sie beim Ausstieg.
Für die Hilfe für Opfer von Menschenhandel setzt er muttersprachliche Honorarkräfte ein. Und die haben immer mehr zu tun: In den vergangenen Jahren ist die Zahl der jungen Frauen und Mädchen, die von Menschenhandel betroffen sind, stark gestiegen. 2008 betreute die Mitternachtsmission 207 von Menschenhandel betroffene Frauen und Mädchen sowie 64 Kinder dieser Frauen, 2007 waren es „nur“ 151 und 48 Kinder.
Große Angst, auch vor der Polizei
„Der größte Teil dieser Frauen und Mädchen kommt aus den neuen EU-Ländern Bulgarien und Rumänien. Sie dürfen hier legal arbeiten, sind aber trotzdem Opfer von Menschenhandel. Das Problem ist, dass die Polizei sie wegen ihrer Staatsangehörigkeit nicht als solche identifizieren kann und sie selbst große Angst vor der Polizei und ihrem Zuhälter haben“, erklärt Andrea Hitzke das Dilemma.
Aneta kam mit einem Minibus nach Deutschland. Mit zehn anderen Frauen. Der vermeintliche Bekannte brachte sie in seine Wohnung, wo sie sich ein bisschen ausruhen durfte. Am Abend ging es in eine einschlägige Kneipe. Die 15-jährige Aneta wurde ausgelacht, als sie den Prostituierten in der Kneipe erzählt, dass sie kellnern werde. „Bist du doof, du bist dafür da, wofür wir auch da sind“, hämten sie und behielten Recht.
Allein in einem fremden Land
„Ich hatte keine Wahl“, sagt die junge Frau rückblickend. „Ich war allein in einem fremden Land. Ich sprach kein Deutsch. Der Zuhälter hatte meinen Ausweis, und alles Geld musste ich bei ihm abliefern.“ Sie sei geschlagen worden und habe viel geweint.
Einmal sei ihr Ehemann aus Bulgarien gekommen – Aneta wurde mit zwölf verheiratet – doch dem habe sie eine Schachtel Zigaretten gekauft und dann sei er wieder abgereist. „Wir waren damals schon nicht mehr zusammen“, sagt sie.
Kein Kontakt zur Familie
Aneta wohnte bei ihrem Zuhälter und seiner Freundin – ebenfalls eine Prostituierte. „Ich durfte keinen Kontakt zu meiner Familie haben.“ Gearbeitet hat sie auf dem Straßenstrich von fünf Uhr nachmittags bis fünf Uhr früh. „Einmal wollte ich weglaufen, da hat mich mein Zuhälter mit brutaler Gewalt gezwungen, weiter für ihn anschaffen zu gehen.“
Der Zuhälter sitzt inzwischen in Haft. Aneta hat gegen ihn ausgesagt. „Ich habe keine Angst mehr, weil ich Hilfe bekommen habe“, sagt sie. Eine Freundin hatte den Kontakt zur Mitternachtsmission vermittelt und so konnte Aneta mit Hilfe des Vereins sofort untertauchen.
Erst einmal lesen und schreiben lernen
Die heute 22-Jährige darf wegen ihrer Aussage vor Gericht in Deutschland bleiben. „In Bulgarien wäre sie extrem gefährdet, könnte nirgendwo untertauchen und muss um ihr Leben fürchten“, erklärt Andrea Hitzke und fügt hinzu: „Sie ist eine der wenigen Ausnahmen.“
Aneta will lesen und schreiben lernen und dann irgendwann mal arbeiten. Angst hat sie nicht mehr. Nur ihre Familie vermisst sie. Doch zu der kann sie auch weiterhin keinen Kontakt haben – zu gefährlich.
Die Dortmunder Mitternachtsmission ist auf Spenden angewiesen. Spendenkonto: Stadtsparkasse Dortmund, Konto-Nummer 151 003 168, BLZ 440 501 99