Das optimierte Gehirn: Forscher raten zur Debatte
Pillen für mehr Konzentration oder für mehr Empathie im Streit mit dem Partner sind weitgehend Zukunftsmusik. Wissenschaftler fordern dennoch, offen über solche Dopingmittel fürs Gehirn zu reden.
12.10.2009
Von Andrea Barthélémy

Obwohl die Zahl derjenigen, die "Hirn-Doping" betreiben, auch in Deutschland stetig wächst, gilt: Keine Studie hat derartige Wirkungen bislang bestätigt, wie sie Ritalin, der Wachmacher Modafinil oder bestimmte Psychopharmaka bei Gesunden angeblich haben sollen. Trotzdem ist es nach Ansicht von Wissenschaftlern höchste Zeit, die Debatte um pharmazeutische "Leistungssteigerer" und "Glückspillen" offener zu führen. Sieben Mediziner, Philosophen und Juristen plädieren in dem Memorandum "Das optimierte Gehirn" nun für einen liberalen, aber kritischen Umgang mit sogenannten "Neuro-Enhancement-Präparaten" (NEP), frei übersetzt: Präparate zum Nerven-Doping.

Keine grundsätzlichen Einwände, aber ...

Was würde passieren, wenn in Zukunft wirklich eine nebenwirkungsfreie "Glückspille" zur Verfügung stünde? Welche Probleme und neue Möglichkeiten - für den Einzelnen und für die Gesellschaft - resultierten daraus? Diese Fragen untersuchten die Autoren des Memorandums, das aus einem vom Bundesforschungsministerium finanzierten Projekt hervorgegangen ist und nun von der Zeitschrift "Gehirn & Geist" veröffentlicht wurde.

"Wir vertreten die Ansicht, dass es keine überzeugenden grundsätzlichen Einwände gegen eine pharmazeutische Verbesserung des Gehirns oder der Psyche gibt", schreiben die Autoren. Schließlich müsse ein liberaler Verfassungsstaat jedem Einzelnen das Recht gewähren, dies für sich selbst zu entscheiden. Verbote, so sind die Forscher überzeugt, können nur der letzte Ausweg sein. Unter Umständen, etwa wenn soziale Ungerechtigkeiten verschärft würden, müssten Staat und Gesetzgeber jedoch regulierend eingreifen.

Und es müsse genau hingeschaut werden. "Wenn jemand diese Präparate nehmen würde, nur weil alle sie nehmen und er sich unter Druck gesetzt fühlt, sonst nicht bestehen zu können, dann ist das ohne Zweifel problematisch", sagt der Philosoph und Projektkoordinator Thorsten Galert von der Europäischen Akademie GmbH (Bad Neuenahr-Ahrweiler). Das grundlegende Problem seien dann jedoch nicht die Präparate, sondern der wachsende Leistungsdruck in der Gesellschaft, den es zu verändern gelte. "Die Medikamente behandeln nur die Symptome."

Schönheitschirurgie für die Seele

Die Krux der derzeitigen Situation: Es gibt überhaupt keine Daten zu Nebenwirkungen und Langzeitfolgen der derzeit als NEPs genutzten Substanzen an Gesunden. Es fehlen Forschungen, die auch über eventuelle Probleme neuer Substanzen zur Leistungsoptimierung - wie Gefühle der Selbstentfremdung oder Persönlichkeitsveränderungen - aufklären würden. "Und es wäre falsch, die Durchführung entsprechend komplexer Wirkungsstudien allein den Pharmaunternehmen zu überlassen", sagt Galert. Auch dem Trend zur "Pathologisierung" kleinster Verhaltensauffälligkeiten könne so begegnet werden - bisher werden Mittel wie Ritalin, Modafinil oder Antidementiva nämlich nur bei Krankheit verschrieben. Wer sie dennoch haben will, muss sie illegal über das Internet beziehen.

Auch der Philosoph Thomas Metzinger, der an der Uni Mainz ein weiteres Forschungsprojekt zu diesem Thema koordiniert, glaubt, dass die Entwicklung nicht aufzuhalten ist, sieht sie aber kritischer. "Im Grunde haben wir es beim Enhancement ja mit einer 'Schönheitschirurgie für die Seele' zu tun." Deshalb sei der Trend auch in den USA mit ihrem anderen Körperbild schon viel verbreiteter als in Deutschland.

Die Memorandum-Autoren haben neben potenziellen Risiken der Hirn-Optimierung auch mögliche Vorteile im Blick: So könnten Präparate der Zukunft, wenn sie denn nebenwirkungsfrei sind und nicht ständig und unter Druck genommen werden, sondern gezielt und selbstbestimmt, dem Einzelnen und der Gesellschaft auch viel Positives bringen. Das Memorandum ist auch im Internet nachzulesen (pdf).

dpa