Meine Woche vom 5. bis 10. Oktober
Montag
Diese Woche ist der Betriebsablauf der Bahn eine einzige Störung. Wahrscheinlich die Strafe für den Titel dieser Kolumne. Oder es fällt mir diese Woche besonders auf, weil ich fußlahm bin, habe mir am Wochenende aus purer Dämlichkeit den Zeh gebrochen und finde es sehr mühsam, an Gleisabschnitt A zu stehen, und erst bei Einfahrt des Zuges zu sehen, dass mein reservierter Sitz in Gleisabschnitt G hält. Wegen Verzögerungen im Betriebsablauf verkehrt der Zug in abweichender Wagenreihung. Für Nicht-Bahnfahrer zum Verständnis: Gleisabschnitt G ist schon fast in Köln-Kalk, während A mehr Richtung Düsseldorf geht. Jedenfalls ist es mehr als lästig, so weit zu humpeln, und da ich sonst krachend gesund bin, kriege ich wenigstens eine kleine Ahnung davon, wie es sein muss, im Rollstuhl, mit Gehwagen oder Krücken den öffentlichen Transport zu benutzen. Ginge jetzt gar nicht, der Zug hat ja nur zwei Minuten Aufenthalt. Nein, nein, Einschränkungen der Mobilität sind nicht vorgesehen im Mobilitätskonzept der Bahn.
Dienstag
Heute bin ich schlauer. "Können Sie mir die Wagenreihung sagen", frage ich die Schaffnerin an Gleis 11, aber die schlägt gleich die Hände vors Gesicht "Nicht hauen!" Wieso um Gottes Willen soll ich sie hauen, ich hau noch nicht mal meine frechen Kinder. Ah, der Zug ist nicht nur nach einem rätselhaften Prinzip aufgefädelt, er hat auch satte 30 Minuten Verspätung. Das ist blöd, und die ersten Geschäftsleute klappen ihre Laptops auf schmutzigen Gepäckwagen auf. Genau jetzt bräuchte man Servicepersonal, das Alternativen anbietet, telefoniert, sich kundig macht. Vielleicht Kaffee anbietet? "Nicht hauen" ist ungefähr die dümmste Antwort und typisch für Betriebe, in denen keiner so recht die Verantwortung übernehmen will. Klar ist die arme Frau nicht dran schuld, dass der Zug später kommt. Aber sie könnte sich drum kümmern, das beste draus zu machen. Zumal an einem Tag, an dem die Bahn mal wieder die Preise erhöht. Da kann die Schaffnerin auch nichts dafür, und ich werde sie auch nicht hauen. Aber den Kopf hinhalten – nur sinnbildlich, nicht in echt – das müssen sie schon, die MitarbeiterInnen der Bahn. Muss ich ja auch, wenn in meiner Zeitung dummes Zeug steht. Vielleicht sollten wir bei chrismon auch mal die Seitenreihung durcheinander würfeln, Leserbriefe auf den Titel und den Inhalt auf die Rückseite. Mal sehn, was passiert. Aber bitte nicht hauen!
Mittwoch
Hoppla, plötzlich Sommer. Bester Laune besteige ich in T Shirt ohne Winterjacke morgens den Zug, neben mir ein Soldat im grauen Anzug mit Laptop, zwei Koffern und Seebeutel. Frankfurt Flughafen steigt er aus, und ich überlege, wo er wohl hin fliegt. Kosovo? Afghanistan? Plötzlich kommt mir mein Gemäkel um falsch aufgereihte Waggons ziemlich kleinlich vor. Ich möchte nicht an so einem sonnigen Spätsommertag nach Afghanistan fliegen, ich möchte überhaupt nicht nach Afghanistan fliegen, aber heute ist definitv kein schöner Tag zum Sterben. Gleichzeitig ist heute morgen schon wieder eine Terrorwarnung erfolgt, Al Quaida droht wieder mit Anschlägen, weil Deutschland seine Afghanistan-Truppen erhöhen will statt abziehen. Wovor mein Sitznachbar wohl mehr Angst hat? Hier im ICE in die Luft zu fliegen, weil er und die anderen Jungs da unten stationiert sind? Oder in Afghanistan in die Luft zu fliegen, weil er – so wird er es selber ja wahrscheinlich sehen – seinen Kopf hinhält, damit wir in Deutschland in Frieden leben können und zum Beispiel frei und selbstbestimmt reisen?
Donnerstag
Man merkt: die Feriensaison beginnt. Es wird beiger bei der Bahn. Beige Westen von rüstigen Rentnerinnen und Rentnern mischen sich unter das blaue Tuch der Geschäftsleute, die sonst die Farbe vorgeben im Zug. Ganze Gruppen aufgekratzter Urlauber stehen am Gleis, in Köln sichtbar und hörbar aus dem Umland, mit kleinen Schnapsgläsern am langen Band um den Hals und orangenen Kühlboxen in der Hand. Es ist bestimmt gut für die Umwelt, dass solche Gruppenreisen jetzt öfter per Bahn geplant werden – eine Folge hoher Benzinpreise und günstiger Gruppentarife bei der Bahn. Es kann allerdings ziemlich laut werden im Großraumwagen mit so einer alerten Kegeltruppe. Aber das ist eben der Preis der Freiheit: Wer Nähe nicht aushält, muss tatsächlich Autofahren, und ganz ehrlich: Heute wär so ein Tag, an dem ich lieber in meinem Auto sitzen und die neue "Element of Crime"-CD hören würde. Statt im Großraumwagen die "Höhner" und "Viva Colonia". Kriegen die Höhner eigentlich Gema-Gebühren, wenn so ein Kegelverein ihren Erfolgshit schmettert? Dann müssten sie ja schon längst Millionäre sein. Sind sie vermutlich auch. Drum sitzen die auch nie im Zug. Sondern vermutlich im 5er BMW und hören Beethoven.
Freitag
So, heute gibt es ein Experiment, zu dem ich überhaupt nicht geschaffen bin: Heute muss die Bahn pünktlich sein, sonst kriege ich ein echtes Problem. Ich soll um 10.30 in Stuttgart einen Vortrag halten. Kein Problem, wenn der Zug aus Köln planmäßig um 10.08 in Stuttgart ankommt. Ich bin Vergewisserungs-Neurotiker, ich plane sonst immer Luft ein, weil ich es hasse zu spät zu kommen. Aber ich komme heute nicht früher los als 7:54. Mein kleiner Sohn ist gerade Klassensprecher geworden, er hat heute seine erste "Kinderkonferenz" an der Schule, da muss ich ihn hin bringen, er ist so aufgeregt. So ist das mit der Work-Life-Balance, ein ewiger Drahtseilakt. Aber, hallo! Es klappt. Auf die Sekunde um 10.08 rollt der Zug in Stuttgart ein, und das muss man jetzt auch mal sagen: Zwei Stunden von Köln nach Stuttgart, das würde man im Auto nie schaffen. Und im ICE noch die Zeitung gelesen, an dieser Kolumne geschrieben, den Vortrag für Stuttgart überarbeitet – danke, Bahn! Wenn das so weiter geht, muss ich diese Kolumne noch umbenennen. Vielleicht in "planmäßige Ankunft".
Über die Autorin:
Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de
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