Finanzlage schockt Koalitionäre in spe
Böses Erwachen bei den Koalitionsgesprächen: Union und FDP haben nach einem Kassensturz nur einen ganz kleinen Finanz-Spielraum für ihre Regierungspläne. Kanzlerin Angela Merkel (CDU), FDP-Chef Guido Westerwelle und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) vereinbarten in der zweiten Spitzenrunde am Donnerstag dennoch, dass Steuerentlastungen und mehr Bildungsinvestitionen kommen müssen.

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa müssen aber alle anderen Ressorts einen harten Sparkurs fahren. Die fünf Wirtschaftsweisen warnen unterdessen: Die Koalition werde nicht um Steuererhöhungen herumkommen.

Einziges Thema der zweiten großen Koalitionsrunde unter Leitung der drei Parteivorsitzenden war die Wirtschafts- und Finanzlage. Dabei wurde deutlich, dass die künftigen Partner zwischen 29 und 34 Milliarden Euro in der neuen Legislaturperiode zusätzlich aufbringen müssen, um die neue Schuldenregel im Grundgesetz nicht gleich zu verletzen. Die Generalsekretäre Ronald Pofalla (CDU), Alexander Dobrindt (CSU) und Dirk Niebel (FDP) teilten mit, dass sich die Koalition auf ein Finanztableau geeinigt habe. Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU) betonte, es werde Steuersenkungen geben, nur der Umfang sei zwischen Union und FDP weiter strittig.

Zusammen mit dem FDP-Finanzexperten Hermann Otto Solms kündigte er an, dass Anfang nächster Woche erste konkrete Steuerentscheidungen getroffen werden sollen. De Maizière sagte nach Gesprächen der AG Steuern und Haushalt, die Spielräume seien äußerst eng. "Der Konsolidierungsbedarf der öffentlichen Haushalte ist sehr hoch."

Solms: Finanzlage "entsetzlich"

Solms meinte zu den neuen Zahlen: "Der Status ist entsetzlich. Die Regierung hinterlässt uns einen finanzpolitischen Scherbenhaufen. Wir wissen, dass nicht alles sofort geht. Deswegen müssen wir das alles auf der Zeitschiene verteilen." Die FDP bestehe auf einer Reform des Steuersystems. Nach wie vor wird eine Erhöhung der Kinderfreibeträge und des Kindergelds erwogen. Die FDP hatte im Wahlkampf eine Erhöhung von 164 Euro auf 200 Euro pro Monat gefordert. In dieser Höhe sei das zwar nicht realisierbar, hieß es. Denkbar sei ein Betrag dazwischen. Merkel hat in der Sitzung nach Angaben von Teilnehmern vor allem auf die notwendigen Bildungsinvestitionen hingewiesen. Zur Konsolidierungsbedarf hat die Arbeitsgruppe Finanzen zwei Szenarien entwickelt. Bei dem "pessimistischen" handelt es sich um den unveränderten Finanzplan der großen Koalition, der noch von einem Einbruch der Wirtschaft um sechs Prozent in diesem Jahr und von einem Mini-Wachstum im nächsten Jahr ausgeht. Nach dieser Annahme müsste der Bund wegen der Schuldenregel noch 34,4 Milliarden über Kürzungen oder höhere Einnahmen erbringen. Dabei sind mögliche Mehrausgaben oder Mindereinnahmen wegen Steuersenkungen gar nicht berücksichtigt.

Das zweite Szenario geht davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Jahr "nur" um fünf Prozent schrumpft und 2010 um 1,25 Prozent zulegt. Dann würde der Sparzwang immer noch 29 Milliarden Euro betragen. Die Arbeitsgruppe Finanzen hatte zuvor auch "goldene Regeln" für die Haushaltspolitik aufgestellt. Darin wird das Einhalten der neuen Schuldenbremse - nach der der Bund von 2011 an die Verschuldung drastisch zurückfahren muss - bekräftigt und weitere Steuertransfers in die Sozialkassen ausgeschlossen. Damit dürfte klar sein, dass die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung steigen werden.

Trotz des absehbaren Milliardenlochs bei den Krankenkassen wollen Union und FDP die deutsche Wirtschaft von steigenden Gesundheitskosten verschonen. Die Leiterin der Koalitionsarbeitsgruppe Gesundheit, Ursula von der Leyen (CDU), zeigte sich zugleich unbeeindruckt von Kassenforderungen nach höheren Staatshilfen und wandte sich gegen Schnellschüsse.

Atommeiler mit veralteten Sicherheits-Standards sollen nach den Plänen der künftigen schwarz-gelben Koalition nur bei entsprechender Nachrüstung weiterbetrieben werden dürfen. Darauf verständigten sich die Koalitionsunterhändler von CDU/CSU und FDP, wie die dpa aus den Arbeitsgruppen Umwelt und Wirtschaft erfuhr. Falls es längere Laufzeiten gibt, sollen die Konzerne dazu verpflichtet werden, einen hohen Anteil der erwarteten Milliardengewinne an den Bund abzuführen.

dpa