Freitod jenseits der Alpen und anderswo
Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) arbeitet an einer gemeinsamen Position zur Sterbehilfe. Ein entsprechender Beschluss wurde bei der Tagung des GEKE-Rats in Genf gefasst, das entsprechende Papier wird jetzt an die Gliedkirchen zur Diskussion gegeben. In Deutschland hat die Debatte mit dem Gesetz zur Patientenverfügung zumindest vorläufig einen Ruhepunkt erreicht. Andere Länder haben ihre eigenen Regeln gefunden, um mit dem Todeswunsch eines Kranken umzugehen.
06.10.2009
Von Petra Thorbrietz

Bei seiner Tagung in Genf hat der Rat der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) bereits ein Papier zum kontroversen Thema Sterbehilfe verabschiedet, dass jetzt an die 106 Mitgliedskirchen zur Stellungnahme weitergeleitet werden soll. Ein Ziel der Studie sei es, den Kirchenleitungen eine theologische Orientierung und Hilfestellung in politischen Prozessen zu bieten. Das Papier enthält konkrete Beispiele für den Umgang mit Menschen in Krisensituationen. Im Herbst 2010 sollen Fachleute aus den Mitgliedskirchen den Text weiter beraten. Erst nach dieser Konsultation will die GEKE das Dokument veröffentlichen. Einige GEKE-Mitglieder wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und der Schweizerische Evangelische Kirchenbund haben bereits Positionen zur Sterbehilfe vorgestellt.

Sterbehilfe in anderen Ländern

Im Ausland gibt es ähnlich wie in Deutschland heftige gesellschaftliche Debatten um die aktive Sterbehilfe. Praktiziert wird sie jedoch nur in wenigen Ländern. Mit dem Argument, Euthanasie geschehe ohnehin täglich und überall, versuchte dennoch der Europa-Abgeordnete Dick Marty, ein Liberaler aus der Schweiz, Sterbehilfe 2003 in der Europäischen Union zu legalisieren, doch er blieb erfolglos.

Die Niederlande

Vorbild für Marty waren die Niederlande, die 2002 als erstes europäisches Land ein "Gesetz zur Überprüfung bei Lebensbeendigung auf Verlangen und bei der Hilfe bei der Selbsttötung" ("Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding") verabschiedet hatten. Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Selbstmord sind danach nicht mehr strafbar, wenn sie von einem Arzt begangen werden, der besondere Sorgfaltskriterien beachten muss, zum Beispiel einen weiteren Arzt hinzuziehen und medizinisch korrekt vorgehen. Dies wird von einer Kontrollkommission geprüft. Der hohe administrative Aufwand hat jedoch dazu geführt, dass neben den rund 3.000 Patienten, die jährlich in den Niederlanden euthanasiert werden, weitere tausend ohne ihre gezielte Einwilligung vorzeitig sterben. Das Motiv dafür ist häufig "Mitleid" der Ärzte, ergab eine Umfrage der Regierung.

Das holländische Beispiel gilt deshalb ähnlich wie das im selben Jahr verabschiedete belgische Gesetz auch unter Befürwortern der Sterbehilfe als problematisch, da sich manche Bürger gezwungen sehen, eine Karte bei sich zu tragen, die einer möglichen Euthanasie im Falle einer plötzlichen Krankheit explizit widerspricht.

Die USA

Ein vielfach positiver gewertetes Beispiel ist dagegen der Staat Oregon in den USA, der 1997 ein "Death with Dignity"-Gesetz ("Tod mit Würde") verabschiedete. Schwerstkranke Patienten können dort einen schriftlichen Antrag stellen und erhalten nach dessen Genehmigung von ihrem Arzt ein Rezept für ein tödliches Medikament. Die Betroffenen müssen bei klarem Bewußtsein sein und das Gift ohne fremde Hilfe einnehmen können. Das scheint viele von ihrem Vorhaben abzubringen: Von den knapp 400 Menschen, die in den vergangenen Jahren von ihrem Recht auf die Verschreibung Gebrauch gemacht haben, verzichtete jeder Dritte darauf, das Mittel einzunehmen. 2009 wurde ein ähnliches Gesetz im Bundesstaat Washington verabschiedet.

Weltweit diskutiert wurde der Fall der Amerikanerin Terri Schiavo deren Mann nach 15 Jahren Wachkoma mit Hilfe des Obersten Gerichtshofes durchsetzte, dass die künstliche Ernährung durch eine Magensonde abgesetzt wurde und die Patientin starb.

Im Focus hitziger Debatten steht die von US-Präsident Obama angestrebte Gesundheitsreform, die vorsieht, älteren Patienten eine Beratung zu bezahlen, wenn sie sich über die Möglichkeiten der medizinischen Behandlung am Lebensende informieren, um einen entsprechenden Patientenwillen abzufassen. Das wird von Gegner als "Euthanasie"–Bestrebung abgelehnt.

Australien

Im Northern Territory Australiens trat 1996 der "Rights of the Terminally Ill Act" in Kraft, der die Selbsttötung mit Hilfe eines Injektionscomputers ermöglichte. Ein Jahr später wurde das Gesetz wieder außer Kraft gesetzt. Trotz mehrerer Anläufe bleibt die Sterbehilfe bis heute verboten.

Die Schweiz

Die Schweiz erlaubt die Beihilfe zum Suizid, wenn sie aus nicht-selbstsüchtigen Motiven geleistet wird. Die Sterbehilfeorganisation EXIT, die nur Schweizer Bürger aufnimmt, ist inzwischen sogar schon auf Krankenstationen von Universitätskliniken zugelassen. Immer wieder Streit gibt es jedoch um die Rolle der Sterbehilfeorganisation Dignitas, die zu zwei Dritteln von deutschen Bürgern in Anspruch genommen wird und deshalb zu einem viel kritisierten "Sterbetourismus" geführt hat.

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat sich 2004 für eine "eine bedingte ärztliche Beihilfe zum Suizid" ausgesprochen, die zwar nicht Teil der ärztliche Tätigkeit sei, aber als "persönliche Gewissensentscheidung des Arztes [...] zu respektieren" sei. 2006 veröffentlichte die Nationale Ethikkommission "Sorgfaltskriterien im Umgang mit Suizidbeihilfe". Dazu gehört, dass der Suizidwunsch nicht "aus einem Affekt oder aus einer absehbar vorübergehenden Krise" resultiert und auch nicht Symptom einer psychischen Krankheit sei. "Alle alternativen Optionen" müssten abgeklärt worden sein, in "persönlichen, mehrmaligen Kontakten und intensiven Gesprächen", ergänzt durch eine unabhängige Zweitmeinung. Die geforderte staatliche Überwachung dieser Kriterien wurde jedoch vom Bundesrat abgelehnt, da man jede "staatliche Zertifizierung" von Sterbehilfe vermeiden wollte.

2007 urteilte der Schweizer Bundesgerichtshof, dass ein Sterbewilliger auch in der Schweiz keinen Anspruch auf Beihilfe bei der Selbsttötung oder aktive Sterbehilfe habe. Weder aus der Europäischen Menschenrechtskonvention noch aus Schweizer Bundesrecht könne dies abgeleitet werde. Ein psychisch Kranker hatte gefordert, dass seiner Sterbehilfeorganisation ein tödlich wirkendes Mittel zur Durchführung seines Suizids rezeptfrei zur Verfügung gestellt werden müsse (Urteil vom 03.11.2006, AZ 2A.48/2006 und 2A.66/2006).

Andere europäische Länder

In Italien, Frankreich und Großbritannien wird die aktive Sterbehilfe immer wieder von Teilen der Bevölkerung gefordert – der Streit, ob sie zugelassen werden soll, geht jedoch in der Regel quer durch die Parteien und wird deshalb nicht entschieden.

Schweizer Verhältnisse? Nicht in Deutschland

In Deutschland versucht ein Ableger der Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas unter dem Namen "Dignitate" mit Hilfe prominenter Unterstützer, die Sterbehilfe politisch zu legalisieren. Schon 2007 hatte "Dignitate" angekündigt, einem Patienten illegal Sterbehilfe zu leisten und den Fall dann zu veröffentlichen. Das ist bisher nicht geschehen. Der Hamburger Lokalpolitiker Roger Kusch (Gründer der Partei "Heimat Hamburg") gründete den Verein "Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e.V." und warb unter anderem für einen Tötungsautomaten. 2008 assistierte er einer 79-jährigen Frau bei ihrem Suizid, die zwar nicht unheilbar krank war, aber nicht in ein Pflegeheim eingeliefert werden wollte. Die Werbung für seine Dienstleistung auf einer eigenen Homepage wurde schließlich untersagt, da das Verwaltungsgericht Hamburg darin eine "sozial unwertige Kommerzialisierung des Sterbens" sah, vor allem, weil der Suizid "gegen Entgelt" angeboten wurde. Daraufhin kündigte Kusch an, die Sterbehilfe künftig zu unterlassen.

mit Material von epd