Forderungen und Warnungen an Schwarz-Gelb
Die Erwartungen an die künftige Bundesregierung sind trotz leerer Kassen groß. Interessengruppen, auch die Kirchen, haben Forderungen und Warnungen kundgetan. Ein Überblick.

WOHLFAHRTSVERBÄNDE:

Eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze fordern der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Sozialverband VdK. Sie warnen vor "sozialem Kahlschlag" und einer sozialen Spaltung. Schon jetzt hätten viele Menschen den Eindruck, es gehe in Deutschland nicht gerecht zu. "Die Gesellschaft in Deutschland ist inzwischen so tief gespalten wie nie zuvor in der Geschichte", sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider. Ob sie diese Spaltung beseitigen könne, daran müsse sich eine schwarz-gelbe Koalition messen lassen.

VdK-Präsidentin Ulrike Mascher warnte: Die "soziale Balance" in Deutschland gerate in Gefahr, falls die neue Bundesregierung in der Gesundheits- und Pflegeversicherung verstärkt auf die Privatisierung von Leistungen setze und damit den Patienten und Versicherten neue Lasten aufbürde.

AWO-Chef Rainer Brückers wies auf die prekäre Situation vieler Familien und Kinder hin: "Lohnarmut führt zu Kinderarmut und mündet in Altersarmut."

KIRCHENVERTRETER:

Der rheinische Präses Nikolaus Schneider hat befürchtet mehr soziale Kälte unter der künftigen schwarz-gelben Bundesregierung. "Ich fürchte, dass mit Verweis auf die Staatsverschuldung soziale Leistungen wieder zurückgefahren werden", sagte der sozialethisch profilierte Theologe der "Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung". Der oberste Repräsentant der rheinischen Protestanten, der auch dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland angehört, argwöhnt zudem, "dass sich der Lobbyismus jetzt besser in der Politik verankert", um zu verhindern, dass die Verursacher der Finanzkrise an den Kosten für ihre Bewältigung beteiligt werden. "Dann wird die Krise am Ende durch Abbau des Sozialstaats bezahlt."

Schneider forderte eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze von gegenwärtig 351 Euro auf 440 Euro monatlich. Zugleich verlangte er höhere staatliche Ausgaben zur Armutsbekämpfung und im Bildungswesen statt der von Union und FDP versprochenen Steuerentlastungen. Für Steuerentlastungen gebe es keinen finanziellen Spielraum.

ENTWICKLUNGSHILFE-ORGANISATIONEN:

Hilfswerke fordern ebenso wie Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche, das Entwicklungshilfe-Ministerium beizubehalten (laut FDP-Wahlkampf-Vorschlägen soll das Aufgabengebiet dem Wirtschafts- oder dem Außenministerium zugeschlagen werden). "Wenn das Thema weltweite Armutsbekämpfung nicht mehr mit am Kabinettstisch sitzt, wird es anderen Interessen unterworfen, die die Außen-, Umwelt- oder Wirtschaftsministerien verfolgen", sagte die Vorsitzende des Verbands Entwicklungspolitik (VENRO), Claudia Warning.

Warning, auch Vorstandsmitglied des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), sagte weiter, die FDP habe allerdings richtig erkannt, dass die Entwicklungspolitik zwischen den Ressorts der Bundesregierung besser abgestimmt werden müsse. Ein wichtiges Anliegen ist dem Verband auch die zugesagte Erhöhung der Entwicklungshilfe. Deutschland müsse sich an internationale Vereinbarungen halten und gemäß dem EU-Stufenplan soll die Entwicklungshilfe bis 2010 auf 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens anheben. Das würde eine Aufstockung um mehr als eine Milliarde Euro gegenüber den heutigen Plänen bedeuten.

UMWELTSCHÜTZER:

Umweltschützer bangen um den Klimaschutz und fürchten ein Comeback der Atomkraft: Die Deutsche Umwelthilfe fürchtet, dass der Atomausstieg auf der Kippe steht. Die Grünen kündigten an, gegebenenfalls auch gemeinsam mit den Kirchen gegen eine Aufkündigung des Atomkonsenses zu streiten und den Anti-Atom-Protest auf die Straße zu tragen.

Die Förderung der erneuerbaren Energien dürfe nicht gekürzt werden. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hält das Wahlergebnis nicht für ein Votum zugunsten längerer Atom-Laufzeiten. Die Anti-Atom-Organisationen "Ausgestrahlt" fordert zudem eine Alternative zu Gorleben als möglichem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll.

MENSCHENRECHTLER:

Die Menschenrechtsorganisationen Pro Asyl und Amnesty International wollen (wie auch die Kirchen) eine Reform der zum 31. Dezember auslaufenden Bleiberechtregelung: "Wer lange hier lebt, muss bleiben dürfen". Obwohl sie länger als sechs Jahre in Deutschland geduldet sind, sind rund 60.000 Menschen von der Abschiebung bedroht.

VERBRAUCHERSCHÜTZER:

Die Verbraucherzentralen fordern ein eigenständiges Verbraucher- Ressort. Außerdem seien ein verbesserter Anlegerschutz, eine Reform des Gesundheitsfonds und eine bessere CO2-Kennzeichnung für Elektrogeräte, Autos und Gebäude notwendig.

BAUERN:

Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner erwartet von Union und FDP eine starke Agrarpolitik: "Die extrem schwierige Situation der Milchbauern, aber auch der Ackerbaubetriebe sowie der Obst- und Gemüsebaubetriebe macht Hilfeleistungen und politische Weichenstellungen auf europäischer Ebene dringend erforderlich." Auch müssten die Bauern bei Steuern und Abgaben entlastet werden.

GESUNDHEIT:

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) fordert eine nachhaltige Gesundheitsreform. Die Pharmabranche warnt, Mittelständler stünden vor einem ruinösen Preiskampf. Forschung sollte steuerlich gefördert werden, erklärte der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI). Die Ärzteverbände setzen auf eine Stärkung der Mediziner-Position.

GEWERKSCHAFTEN:

Die Gewerkschaften verlangen, dass es nicht zu einem Kahlschlag bei Jobs und Änderungen beim Kündigungsschutz kommt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kündigte an, dass der Kampf für einen gesetzlichen Mindestlohn fortgesetzt wird. DGB-Chef Michael Sommer warnte davor, Streikrecht, Tarifautonomie oder Mitbestimmung auszuhöhlen. Die Arbeitslosen-Initiative "Erwerbslosen Forum" fürchtet, dass die sozialen Sicherungssysteme auf der Kippe stehen.

WIRTSCHAFT:

Die Wirtschaft pocht auf Steuerentlastungen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) fordert ein 100-Tage-Sofortprogramm gegen die Krise. Top-Themen seien Kredite für Unternehmen sowie Reformen der Erbschaft- und Unternehmensteuer. In Betrieben mit weniger als 20 Beschäftigten sollte der Kündigungsschutz aufgehoben werden. Auch die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände hofft auf "mehr Flexibilität" am Arbeitsmarkt. Die von schweren Finanzsorgen geplagten Kommunen im Städte- und Gemeindebund rufen nach einer höheren Beteiligung an den Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose und am Ausbau der Kinderbetreuung.

BANKEN/VERSICHERUNGEN:

Banken hoffen auf nicht zu strenge Regeln bei Boni und Eigenkapital. Die Versicherungen appellierten an Union und FDP, neben der Stabilisierung der Finanzmärkte die Grundlagen für mehr Wachstum zu schaffen. Nach Ansicht des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken- und Raiffeisenbanken (BVR) muss Schwarz-Gelb den Faden der Agenda 2010 wieder aufnehmen und den Arbeitsmarkt reformieren. Auch müsse das strukturelle Defizit des Bundeshaushalts bis 2016 beseitigt werden.

dpa/epd