"Die Menschen in Afrika leben die Religion wirklich"
Zwischen Tradition, Christentum und Islam - in Afrika haben Religionen vielfältige Facetten und spielen eine große Rolle im Alltag. Ein Gespräch mit dem Hamburger Politologen und Afrikaexperten Matthias Basedau über Mission, Aberglauben - und die Haltung des Papstes zum Schwarzen Kontinent.
06.10.2009
Von Bernd Buchner

evangelisch.de: In Europa ist oft von der Säkularisierung die Rede. Wie säkularisiert ist eigentlich Afrika?

Matthias Basedau: Das ist für jedes einzelne Land schwierig zu beantworten. Viele Staaten sind offiziell säkular, gerade im frankophonen Afrika. Aber natürlich spielen Religionen im Alltagsleben eine große Rolle, eine viel größere als in Europa.

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evangelisch.de: Welche Bedeutung haben die traditionellen afrikanischen Religionen im Vergleich zu Christentum und Islam?

Basedau: Oft vermischen sich die traditionellen mit den modernen monotheistischen Religionen. Das ist in Afrika nicht anders als früher bei uns, denn auch die Erscheinungsformen des europäischen Christentums sind von alten heidnischen Bräuchen geprägt. Die Tradition hat in Afrika eine relativ große Bedeutung, und es ist keine Ausnahme, dass sich die Leute, die an traditionelle Religionen glauben, zugleich als Christen oder Muslime bezeichnen.

Mission mit positiven Begleiterscheinungen

evangelisch.de: Wie hängen Kolonialismus und Mission im Bewusstsein der Bevölkerung zusammen?

Basedau: Man könnte meinen, dass Christentum und Islam, die mit Kolonialisierung und Sklaverei verbunden sind, einen schlechten Leumund hätten. Ich kann aber nicht sagen, dass ich das irgendwann schon einmal gehört hätte. Die großen Religionen sind durchaus nicht unbeliebt. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Missionierung im Vergleich zur staatlichen Kolonialisierung mit vielen positiven Begleiterscheinungen verbunden war, etwa mit Ausbildung und humanitärer Hilfe.

evangelisch.de: In Afrika sind Christentum und Islam zahlenmäßig fast gleich stark. Ist der Schwarze Kontinent ein Tummelplatz für den „Kampf der Kulturen“?

Basedau: Grundsätzlich wäre ich vorsichtig mit Statistiken über Religionen in Afrika. Zudem sind Christen und Muslime nicht in jedem Land gleich stark. Im südlichen Afrika gibt es Länder mit christlicher Mehrheit, im Norden sind die Muslime in der Überzahl. Es gibt aber in der Tat eine Reihe von Staaten, wo wir etwa gleich große Gruppen haben. Ich würde den Begriff „Kampf der Kulturen“ vermeiden. Aber natürlich kann Religion auch benutzt werden, um Gegensätze, die eher politischer oder wirtschaftlicher Natur sind, auch religiös aufzuladen. In Nigeria, Somalia oder dem Sudan gibt es durchaus solche Ansätze. Doch meistens geht es nicht um theologische Inhalte oder aggressive Missionierung.

Verschärfend oder konfliktmindernd

evangelisch.de: Zu Ihren Forschungsschwerpunkten gehören bewaffnete Konflikte in Afrika. Welche Rolle spielt Religion dort im Krieg?

Basedau: Religion spielt im gesamten subsaharischen Afrika eine eher untergeordnete Rolle. Es kommt aber auf die einzelnen Länder an – und darauf, was man unter Religion versteht. Da und dort gibt es islamische Extremisten, und theologische Inhalte heizen die Konflikte an. Hauptsächlich spielen aber die Identität und die soziale Gruppenzugehörigkeit eine Rolle. Meistens hat Religion nur einen verschärfenden Charakter. Oft hat sie aber auch einen konfliktmindernden Einfluss, etwa durch die Friedens- und Liebesgebote. Es gibt zudem ganz konkrete religiöse Friedensinitiativen – sie sind nicht immer erfolgreich, aber es gibt durchaus Beispiele auf lokaler Ebene, wo es gut funktioniert hat.

evangelisch.de: Vor welchen Herausforderungen steht das Christentum in Afrika?

Basedau: Es gibt sehr viele christliche Konfessionen. Neben der katholischen Kirche, den Lutheranern und den Anglikanern existieren zahlreiche Kleinkirchen, viele von ihnen mit afrikanischer Prägung – etwa die Kibangisten im Kongo. Dann gibt es natürlich die Evangelikalen, die ähnlich wie in Lateinamerika großen Erfolg bei der Missionierung haben. Die traditionellen kirchlichen Konfessionen stehen gegenüber den „Neuen“ vor großen Herausforderungen.

"Was meint der Papst mit Relativismus?"

evangelisch.de: Nun wirft der Papst den Europäern vor, Afrika mit „spirituellem Giftmüll“ verseucht zu haben, also mit Materialismus und Relativismus.

Basedau: Das ist eine Frage des Standpunktes. Als Kind der Aufklärung weiß ich nicht, ob ich in jeder Hinsicht mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche konformgehe. Materialismus ist mehr eine menschliche als eine rein europäische Sünde. Und was meint der Papst mit Relativismus? Seine eigenen Werte in Frage zu stellen und auch abweichende andere gelten zu lassen, würde ich nicht als spirituellen Sondermüll bezeichnen. Da ist die Ausbeutung in der Kolonialzeit viel gravierender

evangelisch.de: Was kann Europa von der afrikanischen Religionsauffassung lernen?

Basedau: Eine gute Frage. Ich glaube, die Menschen in Afrika leben die Religion wirklich. Das hat nicht nur positive Aspekte, es hat mit Aberglauben zu tun, wie wir das nennen würden. Aber in Europa ist Kirche und Religion sehr verwaltet, institutionalisiert, es fehlt die spirituelle Begeisterung. 


 

Der Politologe Matthias Basedau (41) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg, das auf Afrika spezialisiert ist. Er leitet gegenwärtig das Forschungsprojekt „Religion und Bürgerkrieg: Zur Ambivalenz religiöser Faktoren im subsaharischen Afrika“.