Es gibt sie noch, die Schweinegrippe
Etwa 21.000 Menschen waren Anfang Oktober mit dem neuartigen Grippevirus H1N1 ("Schweinegrippe") infiziert, doch schienen die Behörden zum Beispiel auf dem Münchner Oktoberfest eher Terroranschläge zu fürchten als eine Ausweitung der Epidemie. Jeder, der zu der Festwiese wollte, musste einen engmaschigen Polizeikordon passieren. Das Virus aber hält sich nicht an behördliche Anordnungen.
05.10.2009
Von Petra Thorbrietz

Noch ist nicht bekannt, wie sehr das beliebteste Massenvolksfest der Welt (in diesem Jahr mit 5,7 Millionen Besuchern) zur Expansion der Krankheit beigetragen hat, aber ein wenig seltsam mutet die Sorglosigkeit schon an. Da bei der Abwägung von Nutzen und Risiken eindeutig die wirtschaftlichen Gewinnaussichten gesiegt haben, kann es ja so schlimm eigentlich nicht sein, mag man meinen, aber der Schein trügt: An der potentiellen Gefährlichkeit dieser Bedrohung hat sich nichts geändert. Nach Angaben des Berliner Robert-Koch-Instituts sind Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern am stärksten betroffen, die Mehrzahl der neu Infizierten haben sich ihren Virus in Deutschland geholt.

Massenimpfung in der Kritik

In diesen Tagen läuft die Massenimpfung gegen H1N1 in Europa an. Ende September gab die EU-Kommission in Brüssel grünes Licht für die Verwendung der Impfstoffe "Focetria" von Novartis sowie "Pandemrix" des Pharmakonzerns Glaxo-Smith-Kline. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMEA) Die hatte die Zulassung beider Stoffe befürwortet. Da die Umsetzung den einzelnen Mitgliedsländern überlassen bleibt, wird das Robert-Koch-Institut im Laufe des Oktobers eine genauere Impfempfehlung bekannt geben. Bisher empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) die Impfung vorerkrankter oder älterer Personen über 60 Jahren, Schwangeren sowie Menschen, die besonders häufigen Kontakt mit anderen haben, wie Ärzten, Pflegern oder Polizisten. Die Krankenkassen übernehmen für 50 Prozent ihrer Versicherten die Kosten. Den darüber hinausgehenden Aufwand muss der Steuerzahler übernehmen. Die Impfung der Hälfte der Bevölkerung würde nach offiziellen Schätzungen bis zu einer Milliarde Euro kosten.

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Auch angesichts dieser hohen Kosten kritisierte die Bundesärztekammer "Panikmache" und wandte sich gegen eine Massenimpfung. Lediglich die Risikogruppen sollten sich angesichts des bisher eher milden Verlaufs der Epidemie immunisieren lassen. Die Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland plädierte dafür, die Entscheidungsprozesse der Ständige Impfkommission offenzulegen. Die Mehrzahl derer Mitglieder, kritisierte Transparency-Vorstandsmitglied Angela Spelsberg, habe Kontakte oder sogar finanzielle Verflechtungen mit den wichtigsten Herstellern von Impfstoffen. Auch die Bundesregierung habe es bisher versäumt, die Entscheidungsgrundlage ihrer Experten nachvollziehbar und transparent zu machen. Die europäische Zulassungsbehörde EMEA, deren Arbeit Transparency Deutschland seit Jahren kritisch verfolgt, wird zu fast zwei Dritteln durch die pharmazeutische Industrie finanziert. In der EU-Kommission untersteht sie der Generaldirektion Wirtschaft und nicht Gesundheit und Verbraucherschutz.

Impfung für Risikogruppen empfohlen

Die Impfung gegen das Schweinegrippe-Virus ersetzt die herkömmliche Grippeimpfung nicht, an der jährlich in Deutschland zwischen 8.000 und 11.000 Menschen sterben. Eine Infektion mit H1N1 dagegen ist in Europa bisher nur bei etwa 170 Patienten tödlich ausgegangen, Ende August auch für die erste deutsche Patientin. Der Körper der 180 Kilo schweren Frau aus Gelsenkirchen war allerdings stark vorgeschädigt: Sie war Diabetikerin und nikotinabhängig, hatte die Grippeinfektion verschleppt war und starb schließlich an multiplem Organversagen und einer Blutvergiftung. Inwieweit das H1N1-Virus daran entscheidenden Anteil hatte, ist schwer zu bestimmen. Das Robert-Koch-Institut empfiehlt jedenfalls gefährdeten Personen, in diesem Jahr auf jeden Fall beide Impfungen vornehmen zu lassen, gegen H1N1 und gegen die herkömmliche Grippe. Das soll nicht nur die generelle Abwehr stärken, sondern auch verhindern, dass Doppelinfektionen auftreten. Denn die könnten dazu führen, dass die unterschiedlichen Viren Geninformationen austauschen und die normale Grippe sich mit der Schweingrippe mischt.

Die herkömmliche Wintergrippe nämlich, deren Höhepunkt im Januar und Februar liegt, ist resistent gegenüber dem Wirkstoff Oseltamivir, der im Medikament "Tamiflu" bisher den Krankheitsverlauf von Schweinegrippe in vielen Fällen abbremsen konnte. Der Neuraminidase-Hemmer blockiert einen Eiweißstoff auf der Oberfläche des Virus und bremst damit sein Eindringen in menschliche Zellen, die es braucht, um sich zu vermehren. Das gelingt aber nur, wenn die Wirkstoffe spätestens 48 Stunden nach Einsetzen der Grippesymptome eingesetzt werden. Vorher sollte man das Medikament aber auch nicht nehmen: Eine prophylaktische Einnahme von Tamiflu kann dazu führen, dass der Wirkstoff im entscheidenden Moment nicht mehr greift, weil sich Resistenzen bilden. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen traten außerdem erhebliche Nebenwirkungen wie Verhaltensstörungen, Schlaflosigkeit und Unruhe auf, berichtete die englische Zeitung "The Guardian".

Größte Angst: Mischung der Schweine- und Vogelgrippe

Die große Sorge der Epidemiologen der Weltgesundheitsbehörde (WHO), die die Gefährlichkeit der Pandemie derzeit noch als "moderat" einstuft, ist, dass sich das H1N1-Virus mit dem H5N1-Virus der "Vogelgrippe" paart. H1N1 (Schweinegrippe) ist zwar sehr ansteckend, führt aber zu einem eher milden Krankheitsverlauf. H5N1 (Vogelgrippe) tötete jeden dritten Infizierten. Falsche Panik unter der Bevölkerung kann dieses Risiko erhöhen: Da Tamiflu längst als "Geheimwaffe" gilt, wenn sich eine Grippewelle nähert, werden auch immer größere Mengen des Wirkstoffs mit dem Urin wieder ausgeschieden und sammeln sich in Flüssen und Seen. Der Wirkstoff Oseltamivir, der sich nur schwer abbaut, wird dort von Seevögeln aufgenommen. Forscher der Universität Uppsala und der Universität Kyoto fanden im vergangenen Jahr in japanischen Gewässern erhebliche Mengen des Wirkstoffes. In Japan kam es bereits zu einzelnen Resistenzen gegenüber Tamiflu, wie auch in Kanada, Hong Kong und Dänemark.

Die wichtigste Vorbeugung ist also immer noch, die klassischen Hygieneregeln zu beachten: nicht küssen, nicht aus fremden Gläsern trinken oder von anderen Tellern essen und sich häufig gründlich die Hände waschen!