Union und FDP starten in schwierige Verhandlungen
Die FDP will ein Maximum an liberaler Politik, die Union auf soziale Ausgewogenheit achten - zudem fehlt an allen Ecken das Geld: In Berlin starten die Koalitionsverhandlungen.

Union und FDP haben sich zu Beginn ihrer Koalitionsverhandlungen demonstrativ um Harmonie bemüht - aber Konflikte dabei ausgeklammert. Schon ab diesem Dienstag soll es aber in den zehn Arbeitsgruppen zur Sache gehen, damit die Regierung bis zum 20. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November steht. Alle Seiten zeigten sich nach einer ersten Runde der Spitzenpolitiker der drei Parteien optimistisch und sprachen nach den zum Teil harschen Vorhaltungen in der Nachwahl-Woche von einer guten Atmosphäre.

Schon zum Auftakt der Beratungen hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Tenor vorgegeben. "Wir werden diese Koalitionsgespräche in guter Partnerschaft, in großer Fairness miteinander führen", sagte sie vor dem Treffen in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin. "Es wird sicherlich auch Meinungsunterschiede geben", sagte FDP-Chef Guido Westerwelle. "Aber das ist alles überbrückbar." Auch der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer zeigte sich zuversichtlich.

In der mehrstündigen Runde wurde dann die Struktur der Verhandlungen festgelegt. Die Arbeitsgruppen sollen in kurzen Abständen wieder von der großen Koalitionsrunde unter Leitung der drei Parteivorsitzenden berichten. Dort sollen auch, wenn nötig, Streitigkeiten ausgeräumt werden. Ein Schlüsseldatum könnte das übernächste Wochenende (16. bis 18. Oktober) sein. Dann trifft sich die große Koalitionsrunde in Berlin zu einer Klausurtagung.

Allein schon von der Besetzung der Arbeitsgruppen her zeichnen sich vor allem in der Innen- und Justizpolitik die härtesten Auseinandersetzungen ab. Den Vorsitz übernehmen hier Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Schäuble gilt als Vertreter einer Sicherheitspolitik, die auf einen starken Staat baut. Leutheusser-Schnarrenberger hat hingegen stets die Bewahrung der Bürgerrechte in den Mittelpunkt gestellt.

Lob für das Verhandlungsklima

Bei einer Zwischenunterrichtung bezeichnete CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla das Klima als "ausgezeichnet". Sein Kollege von der FDP, Dirk Niebel, sprach von einem offenen und sehr kollegialen Klima. "Deutlich geworden ist, dass auch bei den unterschiedlichen Positionen, die es natürlich bei unterschiedlichen Parteien immer gibt, ein großer Einigungswille besteht."

Der FDP-Politiker rechnet mit intensiver Arbeit, zeigte sich aber zuversichtlich, zu einem guten Ergebnis zu kommen. Es gehe um einen "politischen Neuanfang". CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt betonte, eine "schnelle und zügige Abwicklung" müsse einhergehen mit Gründlichkeit».

Die Sitzung begann mit Eingangsstatements von Merkel, Seehofer und Westerwelle. Kanzleramtsminister Thomas de Maizière gab einen Überblick über die Haushaltslage. Inhaltliche Streitfragen wurden nur andiskutiert. Das Personal des künftigen Kabinetts war kein Thema.

Der Auftakt wurde von Protesten begleitet. Atomkraftgegner riefen "Hopp, hopp, hopp, Atomkraft stopp". Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sprach von rund 1.500 Teilnehmern, die sportlich gegen die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken protestierten.

Steuersenkungspläne vs. Finanzlöcher

Vor Verhandlungsstart hatten Vertreter von CDU, CSU und Liberalen noch einmal ihre Erwartungen unterstrichen. FDP-Chef Guido Westerwelle will ein "Maximum an liberaler Politik" durchsetzen. Die Steuersenkungspläne der FDP bis zu 35 Milliarden Euro werden allerdings angesichts von Finanzlöchern in Höhe von 40 Milliarden Euro gebremst. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel beharrte in der "Rhein-Neckar-Zeitung" auf einer Steuerstrukturreform. Allerdings machte er deutlich, seiner Partei sei klar, "dass wir unsere Vorstellungen nicht zu 100 Prozent umsetzen können".

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) warnte vor übereilten Steuersenkungen. Er sehe bei der wirtschaftlichen Lage kaum Spielräume, dass 2010 und 2011 die Steuern sinken werden, sagte er der "Leipziger Volkszeitung". CSU-Chef Horst Seehofer sagte dagegen, die Konsolidierung des Haushalts und Steuersenkungen schlössen sich nicht aus. Im Übrigen sei jedes Koalitionsgespräch schwierig.

Bundesbankpräsident Axel Weber forderte Union und FDP auf, eine Steuerreform nicht auf die Einkommensteuer zu verengen. "Es muss um alle Abgaben gehen, direkte Steuern wie die Einkommensteuer, indirekte wie die Mehrwertsteuer und auch die Sozialabgaben", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Für den Bürger sei es keine Entlastung, wenn er zwar weniger Einkommensteuer zahlen müsse, dafür aber an anderer Stelle mehr.

FDP: Vorfestlegungen der Union "Geplänkel"

Niebel hält es für "Geplänkel", dass die Union bereits vor Beginn der Koalitionsgespräche Themen wie den Gesundheitsfonds oder den Kündigungsschutz als nicht verhandelbar deklariert. Er ist sicher, "dass wir nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen ein Papier als Agenda für die nächsten vier Jahre auf den Tisch legen, das deutlich macht, dass Deutschland einen Aufbruch erleben wird." Zwar bereiten sich die Liberalen auf harte Verhandlungen mit der Union vor, ein Platzen der Gespräche schloss Niebel in der "Rhein-Neckar-Zeitung" aber aus.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) versprach indessen, "dass das keine Koalition der Zumutungen" wird. Er muss im Mai kommenden Jahres Landtagswahlen bestehen. Beobachter gehen deshalb davon aus, dass Rüttgers, der auch Vizevorsitzender der Bundes-CDU ist, unpopuläre soziale Einschnitte auf Bundesebene zu verhindern wissen wird.

Aber auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder hatte am Sonntag in der ARD einige FDP-Forderungen zurückgewiesen. So hat er etwa noch einmal unterstrichen, der Gesundheitsfonds - den die FDP abschaffen möchte - habe sich bewährt und werde nicht zur Disposition gestellt. Über weitere Verbesserungen könne man reden. "Aber er wird bleiben." Zu der Forderung der FDP, den Kündigungsschutz zu lockern, sagte Kauder: "Das werden wir nicht machen."

Weitere Streitpunkte innere Sicherheit und Wehrpflicht

Mit Verärgerung reagierte die FDP auf Ankündigungen aus CDU und CSU, es werde im Bereich der inneren Sicherheit keinen Kurswechsel geben. "Es bringt überhaupt nichts, wenn die CDU/CSU jetzt sagt, was alles nicht geht", sagte die bayerische FDP-Chefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger der "Süddeutschen Zeitung". Mehrere Unions-Innenminister aus den Ländern hatten der FDP unter anderem vorgeworfen, sie wolle mit ihrem Eintreten etwa gegen Online- Durchsuchungen die jetzigen Sicherheitsstandards untergraben. "Es gibt keine Untergrabung der Sicherheitsstandards. Das lässt die FDP sich nicht vorwerfen", sagte Leutheusser-Schnarrenberger, die als Justizministerin im Gespräch ist.

Die FDP-Verteidigungsexpertin Birgit Homburger hielt im "Kölner Stadt-Anzeiger" an der Forderung fest, die Wehrpflicht abzuschaffen. "Wir werden über die Aussetzung der Wehrpflicht reden, denn sie ist nicht mehr zeitgemäß", sagte sie.

dpa