Eigentlich war es an der Zeit. Noch nie in der Geschichte der Olympischen Spiele wurden diese nach Südamerika vergeben. Immerhin knapp 400 Millionen Menschen leben auf diesem Kontinent. Es sei Brasiliens Zeit, hatte denn auch Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva - kurz "Lula" - in Kopenhagen argumentiert. Mit einer emotionalen Präsentation forderte Rio de Janeiro das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf, den "weißen Fleck auf der olympischen Landkarte zu füllen" und die Spiele 2016 erstmals nach Südamerika zu vergeben.
Mehrfach wurde in der Präsentation Rios auch die Christus-Statue eingeblendet, die neben dem Karneval in Rio und dem Strand Copa Cabana das wohl bekannteste Wahrzeichen der Sechs-Millionen-Einwohner-Metropole ist. "Unter den zehn stärksten Wirtschaftsmächten der Welt ist Brasilien das einzige Land der Welt, das noch nie Olympia-Gastgeber war", sagte Lula. "Für die anderen wäre es nur ein weiteres Olympia, in Rio wären es Spiele für ganz Brasilien und Südamerika. Rio ist bereit. Gebt uns die Chance, und ihr werdet es nicht bereuen."
Zwei sportliche Weltereignisse
Auch Rios Bewerbungschef, IOC-Mitglied Carlos Nuzman, bat, die "Tür zu einem neuen Kontinent zu öffnen und die olympische Bewegung durch neue Energie nach vorne zu bringen". Er zählte auf, in der modernen Olympia-Geschichte seien 30 Sommer- und Winterspiele nach Europa vergeben worden, fünf nach Asien, zwei nach Ozeanien und zwölf nach Nordamerika, davon acht in die USA, aber noch keine nach Südamerika. In Brasilien stehen nun zwei sportliche Weltereignisse an: zunächst die Fußball-WM 2014, zwei Jahre später Olympia.
Als IOC-Chef Jacques Rogge die Entscheidung für Rio um 13.49 Uhr dortiger Ortszeit verkündet hatte, brach am Copacabana-Strand riesiger Jubel aus. Zehntausende Menschen gaben in Karnevalsstimmung einen Vorgeschmack auf Olympia 2016. In Radio und Fernsehen wurden immer wieder Ausschnitte von der Endrunde in Kopenhagen gesendet. Nach dem Sieg der Metropole am Zuckerhut sagte Lula, er fühle sich stolzer denn je, Brasilianer zu sein. "Da wir ein koloniales Land waren, entwickelten wir die Angewohnheit, uns nichts zuzutrauen", sagte der Präsident. "Wir dachten, manche Dinge könnten nur andere Länder schaffen". Dies sei jedoch nicht der Fall.
"Ja, wir können das" war in Rio das meistzitierte Motto des Tages. Selbst der fünfstündige Werbeauftritt des auch in Brasilien populären US-Präsidenten Barack Obama in Kopenhagen hatte das überraschende Ausscheiden Chicagos in der ersten Runde nicht verhindern können. Filmemacher Fernando Meirelles, der die Bewerbung Rios mit Werbefilmen unterstützt hatte, hofft wie die meisten Brasilianer auf erfolgreiche Spiele. Hierfür müssten jedoch die Bürger und Staatsanwälte den Politikern genau auf die Finger sehen, sagte Meirelles. Ansonsten komme es wieder zu Korruption und Geldverschwendung wie bei den Panamerikanischen Spielen 2007.
Obama wirbt vergeblich für Chicago
Die Vergabe nach Rio de Janeiro kommt überraschend. Das IOC-Prüfungskomitee hatte an der Bewerbung einiges zu bemängeln. Vor allem die Sicherheit und fehlende Infrastruktur wurden moniert. Hohe Chancen hatte sich daher Chicago ausgerechnet. Obama war eigens nach Kopenhagen gereist, um gemeinsam mit seiner Ehefrau Michelle Werbung für seine Heimatstadt zu machen. Er hätte sich mit den Olympischen Spielen selbst ein Geschenk machen können. 2016 wäre das letzte Jahr seiner Präsidentschaft, sollte er in drei Jahren wiedergewählt werden. Gleich in der ersten Runde schied Chicago jedoch überraschend aus, noch vor Tokio, das ohnehin nur Außenseiterchancen hatte.
Als Geheimfavorit galt Madrid, das bei seiner Präsentation mit dem gut vernetzten IOC-Ehrenpräsident Juan Antonio Samaranch aufwarten konnte. "Ich bin jetzt 89 Jahre alt, und mein Leben ist fast zu Ende. Darf ich sie bitten, meinem Land die Ehre und die Verpflichtung zu geben, die Spiele 2016 zu organisieren", sagte er. Das IOC erfüllte ihm diesen Wunsch nicht.