20 Gefangene im Austausch für ein Video
Für ein Lebenszeichen des verschleppten Gilad Schalit hat Israel eine hohe Gegenleistung erbracht. Der Fall des Soldaten hält die Region in Atem - und zeigt, wie verfahren der Palästinenserkonflikt ist.
02.10.2009
Von Ulrich Pontes

Über zwei Minuten lang soll es sein, den heute 23-jährigen Gilad Schalit gesund und frisch rasiert zeigen und vor etwa zwei Wochen gedreht worden sein: Die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas hat Israel ein Video zugespielt, das offenbar beweist, dass der verschleppte Soldat am Leben und in guter Verfassung ist. Über Ägypten fand das Video seinen Weg nach Israel, ein deutscher Vermittler - mutmaßlich ein Vertreter des Bundesnachrichtendienstes - hatte seine Finger im Spiel.

Nach Überprüfung des Videos hat nun im Gegenzug Israel 19 weibliche palästinensische Häftlinge freigelassen - eigentlich sollten es 20 sein, aber eine muss wegen einer Kommunikationspanne auf israelischer Seite noch bis Sonntag warten. Die 19 wurden in ihrer Heimat im Westjordanland und im Gazastreifen jubelnd in Empfang genommen. Das Ganze gilt als "vertrauensbildende Maßnahme" und als Vorgeschmack auf den eigentlichen Austausch, wenn Schalit auf der einen Seite und bis zu 1000 palästinensische Gefangene auf der anderen Seite freikommen sollen.

"Wir lassen keinen Soldaten im Stich"

Schalit befand sich im Juni 2006 auf israelischem Territorium, als sein Posten von militanten Palästinensern aus dem Gaza-Streifen überfallen und er über die Demarkationslinie verschleppt wurde. Seither gab es nur wenige Lebenszeichen, auch Vertreter des Roten Kreuzes durften ihn nicht besuchen. Das ganze Land fiebert seit der Verschleppung mit der Familie Schalits und nun der vorgesehenen öffentlichen Aufführung des Videos im Fernsehen entgegen - die Zeitung Haaretz etwa kennt in ihrem Online-Angebot kaum noch ein anderes Thema.

Israels Regierung befindet sich bei dieser Angelegenheit freilich in einer schwierigen Zwickmühle. Einerseits gilt der Grundsatz "Wir lassen keinen unserer Soldaten im Stich" - das sei in Israel "Dogma" oder so etwas wie Staatsräson, erklärt der Nahost-Experte Christian Sterzing. Dieses Versprechen unbedingter Unterstützung sei von großer Wichtigkeit für die Motivation der Armeeangehörigen.

Andererseits gelten Verhandlungen mit der Hamas - eine Terrororganisation, nicht nur aus israelischer Sicht - als Tabu, weshalb der Kontakt auf verschlungenen diplomatischen Wegen läuft. Und schließlich stößt das augenscheinliche Missverhältnis auf Kritik: jetzt 20 Häftlinge für ein Video, dann potenziell bis zu 1.000 für einen gefangenen Soldaten - von politischen Forderungen, die die Hamas im Fall Schalit zusätzlich erhoben hat, ganz zu schweigen. "Natürlich gibt es Stimmen, dass der Preis zu hoch ist. Zumal seit der frühere israelische Grundsatz, niemanden der Blut an den Händen hat im Rahmen eines Austauschs freizulassen, nicht mehr gilt", erläutert Sterzing, der lange die Außenstelle der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah (Westjordanland) geleitet hat.

Konkurrenz um Opferstatus

So erleben Beobachter Israel als gespalten in der Frage, ob der Kampf gegen Terroristen nun eben zwangsläufig Opfer mit sich bringe oder ob man alles zur Befreiung Kriegsgefangener tun muss, ob Verhandlungen mit dem Gegner oder Isolation der Hamas den Frieden eher voranbringen. Sowohl bei friedensbewegten Progressiven wie auch bei patriotisch Konservativen sind deshalb Befürworter wie Gegner des Austauschs zu finden.

Und wie sehen Palästinenser den Fall Schalit? "Auch dort ist er ein Politikum - allerdings ist keinerlei Empathie zu spüren", sagt Sterzing. Genauso wie auch auf israelischer Seite kein Mitgefühl mit palästinensischen Gefangenen zu finden sei. Mitmenschliche Regungen hätten gegen die Dynamik des Nahostkonflikts einen schweren Stand, bedauert der Experte. Er sieht eine Konkurrenz um den Opferstatus: "Beide Seiten wollen das Opfer sein" - Mitgefühl aufzubringen für die andere, die vermeintliche Täter-Seite, passt da nicht ins Konzept.

Mit Material von dpa