Umstrittenes Fassbinder-Stück in Mülheim aufgeführt
Das als teilweise judenfeindlich kritisierte Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod" hat in Mülheim/Ruhr Deutschland-Premiere gefeiert. Protestaktionen blieben aus.
02.10.2009
Dorothea Hülsmeier

Im Mülheimer Theater an der Ruhr ist Roberto Ciulli am Donnerstagabend gelungen, was bald 25 Jahre ein Tabu war: Er brachte das als antisemitisch kritisierte Fassbinder- Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" erstmals in Deutschland öffentlich auf die Bühne - wenn auch in einer gekürzten Fassung. Fassbinders Werk von 1975 handelt von einem raffgierigen jüdischen Häuserspekulanten in Frankfurt, der aus Rache eine Prostituierte in den Tod treibt.

Die örtliche Jüdische Gemeinde und der Zentralrat der Juden in Deutschland hatten den vielfach ausgezeichneten Theaterleiter Ciulli zuvor vergeblich aufgefordert, das Stück abzusetzen. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, hatte Mitte September gemeinsam mit anderen Vertretern der jüdischen Gemeinschaft mit Regisseur Ciulli gesprochen
und sich eine Probe zu "Der Müll, die Stadt und der Tod" angesehen. Kramer sagte damals unter anderem, der Zuschauer bleibe trotz aller Bemühungen von Ciulli mit dem Bild eines reichen, raffgierigen und zerstörerischen Juden zurück.

Bereits 1985 war eine Deutschland-Aufführung in Frankfurt am Main geplant. Sie scheiterte jedoch am massiven Widerstand zahlreicher Demonstranten. Damals hieß es auf Transparenten der Jüdischen
Gemeinde: "Wehret den Anfängen!" und "Ein skrupelloser Intendant ist der schlimmste Spekulant". Das Jüdische Kulturforum hatte damals Anzeige wegen "Volksverhetzung" und "Aufstachelung zum Rassenhass"
erstattet.

Ciulli lehnte es jedoch ab, auf die Aufführung zu verzichten, denn das Projekt erstreckte sich nach seinen Worten auf Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) insgesamt als Dramatiker und antisemitische Tendenzen allgemein in Deutschland. So bettete Ciulli das Werk in einen langen, vierstündigen Abend mit zwei weiteren Fassbinder- Stücken ein: das Frühwerk "Nur eine Scheibe Brot" über den Jungregisseur Fricke, der in einem Klima der Verdrängung einen Film über Auschwitz drehen soll, und "Blut am Hals der Katze" über die Doppelzüngigkeit einer vorurteilsbelasteten Gesellschaft.

Antisemitische Stereotypen

 

Ciulli lässt eine zarte Frau - herausragend Simone Thoma - sowohl den Regisseur Fricke als auch den reichen Juden spielen. Schmächtig, im Schüleranzug mit kurzer Hose und Kniestrümpfen, nimmt die Darstellerin der Szenerie das bedrohlich Klischeehafte. Übergangslos, noch als Fricke, betritt sie das Bordell in «Der Müll, die Stadt und der Tod» und begibt sich in die Rolle des krakelenden Spekulanten. Am Ende tritt Fricke demonstrativ aus der Rolle des Juden wieder heraus. Nicht der Jude, sondern Fricke gibt der Prostituierten Roma B. den Todeskuss.

Der von der jüdischen Gemeinschaft als unerträglich für die Überlebenden des NS-Massenmordes bezeichnete Monolog über den "blutsaugenden Juden" mit dem schneidenden Satz "Hätten sie ihn vergast, ich könnte heute besser schlafen", kommt unvermittelt wie in einer Plauderei. Das ist das Beklemmende an dem Fassbinder-Projekt: Die Figuren werfen mit antisemitischen Stereotypen nur so um sich. Die Sätze, die noch heute in vielen Köpfen herumspuken - sie wirken trotz ihrer Monströsität wie ein Gemeingut der Gesellschaft.

Die sensible und bildhafte Inszenierung lässt indes nicht zu, dass das Böse banal wird. Das Bühnenbild (Thomas Hoppensack) ist eine Kirche, die Figuren leben und sterben in rollenden Särgen. Blutrot färbt sich der Altar, als das Brot, um das sich KZ-Häftlinge gestritten hatten, darüber gebrochen wird. Bedrückend das als Leitmotiv immer wiederkehrende Geräusch eines laut prasselnden Feuers und einer Ofentür, die laut zuschlägt.

Kein nachhaltiger Eindruck

 

Ciulli löst das Stück aus dem politisch belasteten Hintergrund der Zeit des Frankfurter Häuserkampfes der 70er Jahre, er streicht brutale Passagen und verlegt es in eine postmoderne Szene-Gesellschaft. Es geht ihm nicht um ein Realgeschehen, sondern um das Überleben des Antisemitismus, verdeutlicht in den Worten von Romas Vater: "Wir sterben nicht aus."

Mülheim ist nicht Frankfurt und nicht Berlin, wo öffentliche Aufführungen des Werks 1985 und 1998 an erbitterten Protesten scheiterten. Uraufgeführt wurde "Der Müll, die Stadt und der Tod" 1987 in New York. Auch in Tel Aviv wurde es gespielt. Ob das Werk nach dem Tabubruch Ciullis nun auch auf anderen deutschen Bühnen Erfolge feiern wird, dürfte fraglich sein. Denn einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt Fassbinder als Dramatiker letztlich nicht.

epd/dpa