"Jetzt gehst du dahin wie ein Bettler!"
Frührentnerin Elli Schlögel kostete der erste Gang zur Berliner Tafel viel Überwindung. Nach dem ersten Besuch fiel es ihr leichter, die freiwillige Hilfe anzunehmen. Ihr Erlebnis ist dokumentiert im Magazin chrismon, eine Geschichte, die anlässlich des dritten Deutschen Tafeltages am 4. Oktober auch hier ihren Platz findet.
02.10.2009
Protokolliert von Bernd Schüler

Ich hatte noch knapp zehn Euro im Portemonnaie, eine Fleischdose und ein paar Scheiben Brot, die Milch war schon alle. Wenn das weg ist, hab ich gedacht, was machste dann? Da fiel mir der Artikel ein über die Berliner Tafel, die Zeitung hatte ich noch. Die Ausgabestelle einer Kirchengemeinde war hier in der Nähe. Aber es war ein schwerer Weg. Bisher hatte ich doch immer mein Auskommen gehabt – und jetzt gehst du dahin wie ein Bettler!

Dabei habe ich mein ganzes Leben gearbeitet. Lange in einer Fabrik für Metallschilder – stanzen, Gewinde schneiden, Löcher bohren. Zuletzt habe ich in Büros geputzt. Dann machte der Rücken nicht mehr mit. Und auch weil ich was an der Lunge habe, wurde ich immer langsamer. Da haben sie mich dann entlassen. Deshalb lebe ich seit einem Jahr von Frührente. Vom Sozialamt kommt noch was dazu. Das meiste ist aber gleich wieder weg, für Miete, Strom, Versicherung, Telefon, den Lottoschein, das Monatsticket. So bleiben mir 100 Euro zum Leben.

Die amtlichen Bescheide musste ich als Nachweis mitnehmen. Das alles ist schon beschämend. Denn ich finde, ich habe mich da nicht selbst reingeritten. Immer konnte ich für mich selber sorgen, und ohne dass ich etwas getan habe, sitzt die Karre nun im Dreck. Du wirst nicht die Einzige sein, habe ich mir immer wieder gesagt. Ja, es waren wirklich viele Leute da. Wenn man seinen Euro bezahlt hat, bekommt man eine Wartenummer. Dann geht man der Reihe nach in einen Raum,wo die Sachen auf Tischen stehen. Dahinter zwei Leute, die einen fragen: Was möchten Sie denn? Das tut gut, dass sie so nett sind, man fühlt sich nicht so als Bittsteller. Erleichtert ging ich nach Hause.

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Was ich in den Tüten hatte, weiß ich noch genau: Salat, ein Glas Sauerkraut, Joghurt, Äpfel, eine Tiefkühlpizza. Und es gab Bananen, die waren reif und mussten weg. Damit habe ich mir einen Milchshake gemacht – zum ersten Mal in meinem Leben! Ein großes Brot war auch dabei. Das habe ich scheibchenweise eingefroren, damit es nicht verschimmelt. Mir etwas holen und dann wegwerfen, das würde mir wehtun. Die Leute geben mir das doch,weil ich nichts habe! Da muss ich dann schon darauf achten. Ich komme nur hierher, wenn es gar nicht anders geht. Du musst auskommen mit dem,was du hast. So bin ich auch erzogen.

Meine Mutter hat immer gesagt: Ein paar Konserven zu Hause lagern, dann hast du immer ein Essen. Eine Büchse Rindfleisch und eine Konserve mit Gemüse, davon kannst du drei Mal essen,wenn es sein muss – zwei Mal Eintopf kochen und ein Mal das Fleisch auf die Stulle tun.

Heute das zweite Mal herzukommen, da habe ich mich lange geziert. Aber der Monat ist noch lang, und die Freundinnen sind verreist. Seit die beiden bemerkt haben, wie es bei mir steht, bringen sie immer mal was vorbei. Mal eine Hand voll Trauben, mal ein Brot oder ein Päckchen Kaffee. Erst war mir unwohl dabei, das anzunehmen. Ich kann ja nichts zurückgeben, außer Freundschaft und Höflichkeit. Ich kam mir klein vor.

[reference:nid=3639;title=Audiobericht aus der Munsteraner Tafel]

Das ist jetzt besser geworden. Aber mir ist wichtig, dass sie auch mal ohne Mitbringsel kommen. Wasser und nen Teebeutel gibt’s bei mir immer, und dann hole ich einen Kuchen dazu, der ist ja oft preiswert zu haben. Die beiden wissen, dass ich jederzeit für sie da bin. Wir unterhalten uns auch über ihre Nöte. Jeder hat ja so sein Päckchen zu tragen.

Die Freundinnen haben mir gut zugeredet, dass ich zur Tafel gehe. Auch mein Sohn fand es richtig. Seit Kurzem ist er arbeitslos – nach 20 Jahren in einer Firma! Bald kriegt er nur noch Hartz IV. Ich würde gern mal mit ihm dorthin gehen, damit er weiß,wo er was kriegen kann,wenn es eng ist. Aber er windet sich, das kenne ich ja von mir. Was bleibt dir übrig, sage ich. Da sitzen auch nur Leute wie du und ich. Und es war ja gar nicht so schlimm.


Der Text "Anfänge" mit Elli Schlögel, damals 59 Jahre alt, erschien in der Mai-Ausgabe von 2007 des Magazins chrismon. Evangelisch.de bringt den Text anlässlich des zweiten Deutschen Tafeltages am 4. Oktober noch einmal.