Irland: Wirtschaftskrise könnte EU-Reform retten
Die Poster an den Laternenmasten und Plakatwänden sprechen eine deutliche Sprache: "Ja zu Arbeitsplätzen!", "Ja zum Aufschwung!", "Ja zu Europa!" Adressaten sind die irischen Bürger, die am Freitag zum zweiten Mal über den EU-Reformvertrag von Lissabon abstimmen. Eines ist schon jetzt unverkennbar: Das Referendum steht unter völlig anderen Vorzeichen als der letzte Urnengang, bei dem die Iren den Reformvertrag von Lissabon abgelehnt hatten.
01.10.2009
Von Isabel Guzmán

Im Juni 2008 war die Finanz- und Wirtschaftskrise im Bewusstsein der Bürger noch nicht angekommen. Jetzt hat sie den kleinen Inselstaat mit voller Wucht getroffen. Die Wirtschaft brach dramatisch ein, die Arbeitslosigkeit schnellte von sechs auf 13 Prozent hoch. Doch es hätte noch schlimmer kommen können - ohne den Euro und die Milliardenkredite der Europäischen Zentralbank. Das konnten die Iren etwa am Beispiel Islands sehen.

Die Krise ist einer der Gründe dafür, dass die zweite Volksabstimmung zu Gunsten des Lissabon-Vertrags ausfallen könnte. Die letzten Meinungsumfragen zeichnen ein durchweg freundliches Bild: So sieht die "Sunday Business Post" 55 Prozent Ja-Stimmen, 27 Prozent Nein-Stimmen und 18 Prozent unentschiedene Wähler. "Die tatsächliche Mehrheit könnte aber deutlich knapper ausfallen", analysiert die britische BBC.

Wirtschaft wirbt für "Yes"

Deshalb erhitzen sich in Irland die Debatten weiter. Eine breite Front von Wirtschaftsvertretern wirbt inzwischen für den Vertrag, darunter Topmanager von Microsoft, Intel, Ryanair. Entsprechend gut finanziert ist die "Yes"-Kampagne. Irland werde ohne den Vertrag Investitionen und Arbeitsplätze einbüßen, heißt es. Eine "Kampagne der Angst" sei das, die von der irischen Regierung weiter angeheizt werde, schimpft der sozialistische Politiker Joe Higgins.

Die Gegner des Lissabon-Vertrags wollen nicht einfach klein beigeben. Gruppierungen wie die konservative katholische Organisation "Cóir" führen kurz vor der Abstimmung noch einmal die altbekannten Argumente ins Feld: "Der Europäische Gerichtshof kann künftig in unsere Menschenrechtspolitik eingreifen", sagt Sprecherin Niamh Uí Bhriain. "Das heißt, er könnte unsere Gesetze zu Abtreibung und Sterbehilfe liberalisieren."

Auch in die Steuer- und die Einwanderungspolitik werde die EU sich einmischen, warnt "Cóir". Generell gebe Irland zu viel Macht an Brüssel ab. Dass die Iren überhaupt noch einmal abstimmen sollen, empfinden die Lissabon-Gegner als empörend: "Was an unserem Nein habt ihr nicht verstanden?" heißt es aus ihrem Lager, in dem sich auch die Partei Sinn Fein findet.

Einflussreicher Bischof empfiehlt "Ja"

Der Lissabon-Vertrag habe die Abtreibung und die Euthanasie überhaupt noch nie im Visier gehabt, argumentieren dagegen die Befürworter. "Das haben die 27 Regierungen nach dem missglückten ersten Referendum noch einmal ausdrücklich klargestellt", so Jim Murray, einer der Organisatoren der "Ja"-Kampagne. Er verweist auch darauf, dass Irland inzwischen eine wichtige institutionelle Zusage erhalten hat: Es wird auch künftig einen permanenten Kommissar in Brüssel stellen.

Auch die katholische Kirche meldete sich zu Wort, die nicht auf einer Linie mit Gruppen wie "Cóir" liegt. Man könne guten Gewissens sowohl mit Ja als auch mit Nein stimmen, erklärte die irische Bischofskonferenz. Einzelne Mitglieder wie etwa der einflussreiche Bischof von Down and Connor, Noel Treanor, gingen noch weiter und empfahlen ein "Ja". Treanor war jahrelang Generalsekretär der katholischen EU-Bischofskonferenz mit Sitz in Brüssel.

Am Samstag gegen Mittag dürften die ersten Ergebnisse der Abstimmung in Irland vorliegen. Sollte der Lissabon-Vertrag angenommen werden, werden sich alle Blicke auf Polen und Tschechien richten. Dort ist der Ratifizierungsprozess ebenfalls noch nicht abgeschlossen. In Tschechien hat eine Gruppe von Senatoren gerade wieder eine Verfassungsklage eingereicht. Die dortige Regierung übt sich in Zweckoptimismus: "Das Gericht hat sich schon einmal zum Vertrag geäußert. Wir werden voraussichtlich bis Ende des Jahres ratifizieren", heißt es aus Prag.

epd