Als Nächstes will die Bundestagsverwaltung die Kunst abholen, die großformatigen Bilder aus der Sitzecke. Der Anruf kam am Mittwoch, die Bilder sind nur geliehen. Dann kommen die Möbel und Computer dran. Alle Daten werden gelöscht, was wichtig ist, wird auf DVDs kopiert. "Unsere Akten", sagt Inga Wagner, "können wir bei der Friedrich-Ebert-Stiftung einlagern". Bis Ende Oktober muss das Büro leer sein.
Noch bis Ende Oktober laufen die Arbeitsverträge von Inga Wagner, Johanna Suwelack und der Studentin Victoria Müller. Sie arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen für die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese, die nicht wieder in den Bundestag gewählt worden ist. Alle drei werden jetzt arbeitslos. Das gleiche Schicksal trifft die beiden Mitarbeiter in Grieses Wahlkreisbüro im nordrhein-westfälischen Velbert.
"Das kam völlig überraschend"
"Das kam völlig überraschend", sagt Johanna Suwelack. "Niemand von uns hat sich vor der Wahl Gedanken gemacht." Erst am Montag im Morgengrauen stand fest, dass Griese es nicht geschafft hatte. Ihr Direktmandat hat die in der Familienpolitik und ethischen Themen profilierte 42 Jahre alte SPD-Politikerin an einen CDU-Neuling verloren. Auf der nordrhein-westfälischen Landesliste steht Griese auf Platz 14. Er galt bis Sonntagabend als absolut sicher. Doch der Absturz der SPD übertraf alle Vorstellungen.
Im Bundestag haben die Sozialdemokraten 76 Mandate verloren. Da jeder Abgeordnete mindestens zwei Mitarbeiter beschäftigt, sind allein aus ihren Büros nun 150 Menschen auf Jobsuche. Kerstin Griese, die sich für ihre Mitarbeiterinnen bereits überall umhört, beschreibt die Lage ernüchtert: "SPD-geführte Ministerien gibt es nicht mehr, die Fraktion und der Parteiapparat werden abgeschmolzen."
Farbenlehre der Parteien gilt auch fürs Personal
Es sieht nicht gut aus für Menschen, die mit ganzem Herzen für die SPD gearbeitet haben. Sich bei Unions- oder FDP-Abgeordneten zu bewerben, kommt für Wagner, Suwelack und Müller nicht in Frage. "Die würden uns auch gar nicht nehmen", sagt Inga Wagner. Die Farbenlehre der Parteien gilt auch für das Personal: Ihre Bewerbungsmappen an die Grünen zu schicken, können sich die Griese-Mitarbeiterinnen - alle drei junge Frauen - schon eher vorstellen. Die Fraktion schickt immerhin 17 Abgeordnete mehr ins Parlament als bisher.
Die Bundestagsverwaltung hilft mit Informationsveranstaltungen und einer internen Jobbörse für die Mitarbeiter ausscheidender Abgeordneter. Wagner und Suwelack haben sich schon arbeitssuchend gemeldet. In der Arbeitsagentur Berlin-Mitte trafen sie im Aufzug auf Kollegen. Die Behörde hat eine Servicestelle für die Bundestagsmitarbeiter eingerichtet und macht für die Demokratie eine Ausnahme: Die Regel, sich drei Monate vor dem Ende eines Arbeitsverhältnisses melden zu müssen, ist außer Kraft gesetzt.
"Das ist halt Demokratie", sagt Johanna Suwelack. "Man hat nicht die Sicherheit, dass man gewählt wird." Am Montag nach der Wahl hat Victoria Müller im Griese-Büro die Stellung gehalten. "Gruselig" sei die Stimmung gewesen, sagt sie: "Man ist so traurig - und sieht dann auf den Fluren andere, glückliche Gesichter."
Es war mehr als ein Job
Aber es gibt auch eine "große Solidarität" der Kollegen, die es wieder geschafft haben, sagt Suwelack. Mitleidsanrufe, E-Mails, tröstende Worte. Manchmal habe sie das Telefon nicht mehr abnehmen wollen. Sie ist seit sechs Jahren im Griese-Büro, ihre Arbeit war "spannend", sagt sie, und hat ihr Spaß gemacht. "Es ist mehr als ein Job", betonen auch Inga Wagner und Victoria Müller.
Noch haben sie nicht ganz begriffen, dass es vorbei ist. Das komme wohl erst, "wenn man den ersten Tag zu Hause sitzt", meint Wagner. Vielleicht kommt es anders: Wenn einer der nordrhein-westfälischen SPD-Abgeordneten sein Mandat zurückgibt, rückt Kerstin Griese nach. Vor ihr auf der Landesliste stehen die Großen: der Parteivorsitzende Franz Müntefering und die Ex-Minister Peer Steinbrück und Ulla Schmidt, die nun vier Jahre als einfache Abgeordnete vor sich haben. Auf dem Tisch in Grieses Büro steht ein Strauß aus Rosen und Eisenhut, daneben eine Karte: "Komm bald wieder."