Wie der Glaube Flugkapitänen helfen kann
Matthias Schultz arbeitet als Pilot. Er trägt Verantwortung für viele Mitarbeiter und Passagiere. Wie erlebt er den Glauben als Flugkapitän eines Airbus A 300?
01.10.2009
Von Matthias Schultz

"Take Off!" – der Flug beginnt, ich führe die Schubhebel nach vorne. Draußen wird es laut, drinnen ganz leise, jetzt beginnt die Arbeit in hochkonzentrierter Atmosphäre. Wir beide vorn im Cockpit teilen sie uns in beinahe feierlicher Exklusivität mit der Maschine.

Unser Job als Pilot gilt als technischer Beruf.Tatsächlich hat man es bei großen Jets mit hochkomplexen Geräten zu tun, die man in jeder Notlage in sämtlichen technischen Details beherrschen muss. Mit Technik vollgestopft ist auch das unmittelbare Umfeld. Im Cockpit ist kein Platz für Blumentöpfe oder Kuschelecken. Stattdessen sind wir in Technik eingepackt,wie die Raupe im Kokon. Auf einem langen, ruhigen Nachtflug über Afrika in meinem Airbus A 300 habe ich mal gezählt – und war verblüfft. Über 1.700 Schalter, Instrumente, Anzeigen und Warnlampen drängeln sich in Armlänge. Macht es da noch einen Unterschied, ob in solch einem "Uhrenladen" nun ein Christ sitzt oder nicht?

Teambildung mit fremder Besatzung

Tatsächlich aber ist mein realer Alltag als Kommandant alles andere als von Technik dominiert. Als Flugkapitän habe ich es zu allererst mit Menschen zu tun. Vor dem "Take Off!" steht eine ausgiebige, intensive Vorbereitungszeit. Mit bis zu 50 Menschen habe ich vor dem Abheben eng vernetzt zusammengearbeitet. Alle hatten sie den Auftrag, diesen einen Flug zu realisieren. Mich fasziniert das immer wieder!

Mein Arbeitstag beginnt mit dem Briefing. Zuerst treffe ich meinen Copiloten. Wir sichten den Flugplan, sämtliche Wetterdaten, sondieren Ausweichmöglichkeiten, Unregelmäßigkeiten imVerkehr, prüfen den technischen Zustand des Flugzeugs und veranlassen Betankung und Beladung. Danach treffen wir unsere Kabinen-Crew.

Jetzt beginnt für mich der spannendste Teil einer mehrtägigen Tour mit einer fremden Besatzung. Jetzt startet noch kein Flug, aber die Teambildung! Da sitzen elf Menschen zusammen, die ihre jeweiligen Aufgaben bis ins Detail kennen und genau wissen, dass sie einen Flug nur als gut funktionierendes Team durchführen können. Die ersten zwei Minuten entscheiden über die Atmosphäre, in der die kommenden Tage gearbeitet wird. Und ich habe mit dem,was ich sage und vor allem, wie ich es sage, die Wahl,welchen Kurs das Team nimmt. Kompromisslose Führung in menschlich maximaler Distanz – oder offen ausgesprochenes Interesse am aktuellen Befinden der Crew-Mitglieder kombiniert mit warmherziger Motivation zu erstklassiger Arbeit.

Extrem leistungsorientiert

In der extrem leistungsorientierten Welt der Fliegerei erhalten diese beiden Führungsstile im schnellen Urteil gerne Kurzbezeichnungen wie "Kerl" oder "Weichei" – und natürlich steht letztere kaum für objektive und schon gar nicht wohlwollende Analyse. Aber gerade in der Frage des Führungsstils ist Jesus für mich das Top-Vorbild allererster Güte. Jesus hat das gelebt,was bei Menschen nur selten zu beobachten ist: Er war von Herzen sanftmütig und zeichnete den Menschen, die ihm folgten, gleichzeitig kristallklare Grenzen ihres Handelns. Das Ergebnis war ein erstklassiges Zwölfer-Team – obwohl es eigentlich ein kunterbunter Haufen war.

Der Führungsstil von Jesus begeistert mich. Es weckt meine Leidenschaft, seine Grundideen in der Leitung einer fast genau gleich großen Crew beim Umherziehen über die Kontinente umzusetzen. Von der Qualität meines Königs bin ich dabei Lichtjahre entfernt, aber schon die bescheidene Anwendung seiner Grundprinzipien zeigt faszinierende Wirkung: Sanftmut, Verständnis, Fürsorge, Geduld, also die klassischen Attribute des "Weicheis" oder "Lavendelpflückers", erlebe ich immer wieder als die Basis, auf der richtig gute Arbeit geleistet wird.

Finden die Kollegen ein Umfeld vor, in dem sie als Mensch sein und fühlen dürfen,wie sie sind, dann sind sie bereit, erstklassige Arbeit zu leisten,weil sie es gerne tun. Verständnis und Motivation sind Schlüssel zu den Menschen. Die Frau am Brunnen hat Jesus nach ihrem Befinden gefragt und erst danach angewiesen, ihr Leben zu ordnen. Und sie hat es gerne getan. Zum allerersten Mal in ihrer holprigen Biografie durfte sie sein,wer sie ist. Sie folgt Jesus und scheint gar nicht auf die Idee zu kommen, ihm ihren Respekt vorzuenthalten.

Kann man freundlich führen?

In der intensiven Ausbildung bin ich von den Trainern oft davor gewarnt worden, in der Crew-Führung allzu freundlich zu sein. Ich verlöre dabei den Respekt und die professionelle Zuarbeit meiner Crew-Mitglieder. Meine Erfahrung beweist mir hartnäckig genau das Gegenteil! Freundlichkeit und Interesse am anderen, ergänzt durch klare Vorgaben, bescheren mir den größten Respekt und die verlässlichste Teamarbeit. Und natürlich: Von letzterem hängt im Katastrophenfall vielleicht sogar mein Leben und das meiner Fluggäste ab. Eine Passagier-Evakuierung aus einem brennenden Flugzeug wird von Flugbegleitern nur dann konzentriert und professionell durchgeführt, wenn der Kommandant ihnen vorher ausdrücklich Rückhalt und Vertrauen demonstriert hat.

Jesus hatte das drauf. Petrus durfte mehrfach eklatante Fehler machen und sich hinterher der uneingeschränkten Liebe seines Herrn vergewissern. Erst durch diese tiefgreifenden Erfahrungen ist er zur Säule der entstehenden christlichen Kirche gereift.

Mich begeistert es, schüchternen Außenseitern in der Crew Sicherheit zu schenken und die Wirkung im Verlauf von ein paar Tagen in Form von selbstbewusstem Arbeiten entfaltet zu sehen. Es macht mir Spaß, tollen Kerlen, die mit ihren vorzüglichen Qualitäten nicht hinterm Berg halten,mein Interesse an ihren Fähigkeiten stumpf zu entziehen und stattdessen nur ihrer Persönlichkeit Beachtung zu schenken – um dann nach ein paar Tagen liebenswerte Charaktere kennen zu lernen, die es aufgegeben haben, sich zu produzieren. Und dann gibt es natürlich auch die ganz harten Nüsse, die ich nicht geknackt kriege, und ich stelle fest, dass meine Fähigkeiten begrenzt sind. Da lebe ich in der unmittelbaren Abhängigkeit von meinem höchsten Ratgeber.

Jesus oder Handgranaten?

Seinen Rat habe ich in den Bodenprozessen oft bitter nötig. Neulich war mal wieder der Wurm drin: Schlechtes Wetter in Frankfurt, zu wenig Personal am Boden, der Tankwagen zu spät, nicht ausreichend Essen beladen, 150 zusätzliche Fluggäste von einem ausgefallenen Flug – und zu guter Letzt nahm man uns noch unser Flugzeug weg, weil es ad hoc für den Truppentransport der Spezialeinheiten zu einer Geiselbefreiung nach Ägypten gebraucht wurde. Dieser Cocktail von Störfaktoren bescherte uns rund 90 Minuten Verspätung. Wir hatten an dem Tag noch weitere vier innereuropäische Flüge in einem sehr dichten Zeitraster mit extrem kurzen Bodenzeiten abzuarbeiten. Als Crew griffen wir tief in die Trickkiste und zogen alle Register, um die Verspätung abzubauen. Drei Flüge später schlossen sich auf die Minute pünktlich die Türen zu unserem letzten Flug des Tages. Der Erfolg tat gut, und wir feierten unsere Leistung mit gegenseitigem Schulterklopfen. Und dann – fehlt der Schlepper am Bugfahrwerk. Der zuständige Kollege in der Leitzentrale hatte das Gerät zum Zurückstoßen 20 Minuten später bestellt,weil er trotz meiner mehrfachen Anrufe nicht glaubte, dass wir es ontime schaffen würden.

In solchen Momenten denke ich zunächst mal nicht an das Vorbild Jesus, sondern an Handgranaten.Momente, in denen ich vom Arbeitstempo "Vollgas" auf "Stillstand" gezwungen werde, erlebe ich als schwere Krisen. Wenn eine solche Krise auch noch durch das Versagen eines Mitglieds meines großen Teams ausgelöst ist, verstört es mich gleich doppelt, weil es doch gerade die professionelle Teamarbeit ist, die ich so sehr liebe. Jetzt muss sich erweisen, ob Kampfgeist und Sanftmut in meinem Charakter sich zu einer alltagstauglichen Ehe verheiratet haben. Und ich stelle fest: Nicht Teambildung ist meine große Herausforderung, sondern meine Konfliktfähigkeit in Krisen. Dann weiß ich wieder, dass ich Sünder bin und träume von den Früchten des Geistes – Liebe, Sanftmut, Geduld...

Tolle Führungskonzepte kann ich im beruflichen Alltag mit Schwung in die Tonne werfen, wenn meine leidenschaftliche Jesus-Nachfolge nicht auch in solchen Momenten greift. Mit Gott im Job erlebe ich Bewegungs-Energie häufig in Momenten, in denen ich sie nicht erwarte. Er überrascht mich dann am meisten,wenn ich es am wenigsten erwarte. Nicht nur dafür liebe ich ihn.

Umgehen mit der Angst

Ein anderes zentrales Thema in der Fliegerei ist die Angst. In zehn Kilometern Höhe und minus 50 Grad Außentemperatur in einer aufgepumpten Aluminium-Röhre ein Loch in die dünne Luft zu bohren, ist nicht jedermanns Sache. Kürzlich schaute ein Passagier vor einem langen Nachtflug nach Fernost beim Einsteigen ins Cockpit (dessen Tür ich am Boden am liebsten sperrangelweit offen lasse) und fragte, ob wir Gewitter auf der Strecke erwarten. Ich merkte, dass er sehr auf ein "Nein" hoffte und sah seine Enttäuschung auf mein ehrliches "Ja". Ich bat eine Kollegin aus der Crew, den Herrn während des Fluges in die Galley (Küche) zu holen, traf ihn dort, trank einen Kaffee mit ihm und erklärte ihm anhand unserer Wetterkarten, wie ich den Slalom-Flug durch das Gewitterfeld geplant hatte. Er war Geschäftsmann und erzählte offen, welch furchtbare Flugangst ihn auf seinen wöchentlichen Flügen begleitet und bedankte sich für das ehrliche Ansprechen der erwarteten Turbulenzen. Das half ihm, der Angst zu begegnen.

Manche Christen behaupten, mit Jesus sei die Angst vorbei. In meiner Bibel steht etwas anderes: "In der Welt habt ihr Angst, aber siehe, ich habe die Welt überwunden." Für mich ist es eine wesentliche Entdeckung, dass Angst fester Bestandteil unseres Lebens ist. Angst ist nicht einfach schlecht, sondern zunächst mal Realität. Zu den vielen Eigenschaften, die mich an Jesus beeindrucken, gehört auch die, dass er diese Realität nicht leugnet. Er hatte entsetzliche Angst in der Nacht vor seinem Tod. Aber er hatte auch eine tiefe Beziehung zu seinem Vater. Er wusste, dass Gott die Welt überwunden hat. Jesus hatte Angst. Aber Jesus hatte auch eine Hoffnung, die größer war als seine Angst.

Natürlich sollten wir als Piloten besser keine Angst vor dem Fliegen haben,um im Notfall einen kühlen Kopf zu behalten. Auch wenn ich die Gefahren kenne, fühle ich mich im Flugzeug pudelwohl. Ich liebe Fliegen! Ich übernehme gerne für die Dauer eines Fluges die Verantwortung für das Leben meiner Fluggäste und empfinde es als wunderschönes Privileg, sie an ihren Bestimmungsort zu bringen. Genau das tut übrigens auch Jesus mit meinem Leben...


Über den Autor:

Matthias E. Schultz lebt mit seiner Familie in Bremen und engagiert sich neben seiner Arbeit bei der Lufthansa als Ältester der dortigen Paulus-Gemeinde.

Der Text ist erschienen in der Zeitschrift "Aufatmen" des Bundes-Verlags.