Filmtipp: "Verblendung" von Niels Arden Oplev
Mit der Verfilmung des Bestsellers "Verblendung" von Stieg Larsson bringt Niels Arden Oplev die düstere und abgründige Seite Schwedens auf die Leinwand – und überrascht mit einer faszinierend zwiespältigen jungen Heldin
30.09.2009
Von Birgit Glombitza

Spätestens seit Henning Mankells kriminalliterarischen Welterfolgen wissen wir, dass im Bullerbü unserer Kindheit längst kein Stein mehr auf dem anderen steht und im schönen Schweden von IKEA-Idylle keine Spur ist. Seit mehr als zwei Jahrzehnten überrollt den deutschen Leser und in direkter Folge den Fernsehzuschauer eine Welle düsterer Krimis, in denen Schwedens Seele verloren scheint: In diesen Geschichten wird der Rechtsstaat mit Füssen getreten. Die ehemals so liberale, emanzipierte und tolerante Vorzeige-Gesellschaft ist unterwandert von alten Nazi-Seilschaften. Wo man hinschaut Prostitution, Drogen, Mafia. Die Stimmung ist manisch depressiv und das Wetter überwiegend schlecht.

 

Die Verfilmung von Stieg Larssons "Verblendung", dem ersten Roman seiner "Milleniums"-Trilogie, die weltweit mehr als 15 Millionen Mal verkauft wurde, hat Niels Arden Oplev übernommen. Es dürfte ein Kunststück für sich sein, das 700 Seiten starke Werk auf einen bündigen 150-minütigen Film zusammenzuschnüren ohne allzu große inhaltliche Verluste hinzunehmen. Von Anfang an konzentriert sich Oplev ganz auf seine komplementären Hauptfiguren: den renommierten Enthüllungsjournalisten Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist) und die ebenso aggressive wie traumatisierte Hackerin Lisbeth Sander (Noomi Rapace). Blomkvist wird von dem Patriarchen einer einflussreichen Industriellenfamilie beauftragt, das Verschwinden seiner Lieblingsnichte nach 40 Jahren aufzuklären. Und natürlich stößt der Reporter dabei auf ein Netz aus Abartigkeiten und Lügen.

Beschädigte Seele

 

Doch so zahlreich die Verdächtigen zunächst sind und so furchtbar die zutage geförderten Wahrheiten - das Interessanteste an der ganzen Geschichte steht von Beginn an direkt neben dem Ermittler. Es ist die in alle Richtungen schillernde Figur der genialen Punkerin Lisbeth. Sie ist, wie sich herausstellt, eine von Terror und Missbrauch zutiefst beschädigte Seele, die sich gegen das Unrecht stemmt. Eine, für die die Liebe eine schnelle, unverbindliche, körperliche Angelegenheit und eine Abwechslung vom chronischen Schmerz ist.

Der dänische Regisseur Niels Arden Oplev, der dem TV-Zuschauer auch hierzulande seit der Krimi-Serie "Der Adler" bekannt sein könnte, scheint deutlich zu spüren, wie schwer die Erwartungen des Bestseller-Publikums auf ihm lasten. Die "Verblendung" ist ein ungeheuer ehrgeiziges Projekt geworden. Ein Film, der sich der erweiterten Mittel des Kinobildes gegenüber der Mattscheibe manchmal allzu sehr bewusst ist. Jedes Bild ringt um unsere Aufmerksamkeit. Jeder Blickwechsel zwischen den Figuren deutet weitere Aufregungen an. Ganz so, als könnte man auch im Kino in ein anderes Programm umschalten und den Film mit einer schlechten Quote bestrafen. Von der Selbstverständlichkeit aber, mit der die Produktion ihre beste und bizarreste Figur vorstellt, kann sich auch das große, routinierte, eitle Weltkino eine Scheibe abschneiden. Das darf sich fortan darüber grämen, eine wie Lisbeth Salander nicht längst selbst erfunden zu haben.

Schweden/Deutschland/Dänemark 2009. Regie: Niels Arden Oplev. Buch: Nikolai Arcel, Rasmus Heisterberg (nach dem Roman von Stig Larsson). Mit: Michael Nyqvist, Noomi Rapace, Sven-Bertil Taube, Lena Endre, Peter Haber. 152 Min. FSK: k.A.

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