Prager Botschaft: Zeitreise in die eigene Vergangenheit
Für Peter-Christian Bürger ist der Besuch in Prag wie eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit. "Das ist ein ganz emotionaler Besuch", sagt der 52-Jährige, "das geht einem ans Herz." Er war einer der DDR-Flüchtlinge, die vor 20 Jahren über die Prager Botschaft in die Bundesrepublik ausgereist sind. Zum Jahrestag kam er jetzt wieder zurück an den Schauplatz deutsch-deutscher Geschichte - und traf viele seiner einstigen Schicksalsgefährten, die auf Einladung der Botschaft den 20. Jahrestag der großen Ereignisse in Prag begingen.
30.09.2009
Von Kilian Kirchgeßner

Etwa 150 der einstigen Flüchtlinge haben sich in Prag wieder getroffen. An die Zustände von damals erinnert heute nichts mehr: Der Park des barocken Botschaftspalais ist gepflegt, früher campierten hier die Flüchtlinge in einem improvisierten Zeltlager. Und die herrschaftlichen Repräsentationsräume im Obergeschoss glänzen in aller Pracht.

Auf der 16. Treppenstufe übernachtet

"Hier standen überall Betten, die waren vierstöckig übereinander gebaut", erzählt ein Mann, der zum ersten Mal wieder zurück gekommen ist an die Botschaft. "Und dort stand das Bett, in dem meine beiden Söhne geschlafen haben!" Er zeigt in eine Ecke des Repräsentationsraumes: "Ich hatte meinen Platz auf der Treppe gefunden, da habe ich übernachtet. Ich weiß es noch genau: Es war die 16. Stufe."

Von solchen Erinnerungen ist die Botschaft zum Jahrestag erfüllt. Überall fallen sich die früheren Flüchtlinge in die Arme. Die meisten haben sich seit der Ausreise damals nicht mehr gesehen, ihre Spuren haben sich irgendwo in Westdeutschland verloren. Alle haben sich so wie Peter-Christian Bürger eine neue Existenz aufgebaut, nachdem sie in der DDR alles hinter sich gelassen haben.

Bürger war einer der ersten Flüchtlinge, die 1989 in die Botschaft gereist sind: Schon im Sommer ist er angekommen, bis zu seiner Ausreise mit einem Sonderzug am 30. September musste er viele Wochen lang ausharren. Jetzt zum Jahrestag hat er seine Eindrücke in einem Gedicht zusammengefasst: "Der erste geht in zwei Stunden, ich hab die Worte noch im Ohr. Vergessen waren Angst und Zweifel, stolz gingen wir wie nie zuvor", heißt es darin.

"Der bis heute bewegendste Einsatz"

Zur Feierstunde in der Botschaft sind aber nicht nur Flüchtlinge angereist: Die Bundeswehr war auch wieder mit dabei, sie hat wie damals mit einer Feldküche für die Verpflegung gesorgt. Und auch die Helfer vom Roten Kreuz sind gekommen, die während des Flüchtlingsdramas die medizinische Versorgung übernommen hatten. "Ich war seither auf vielen großen Einsätzen mit dabei", sagt der Arzt Karl-Heinz Kienle, "aber das in der Prager Botschaft, das ist bis heute der bewegendste Einsatz geblieben."

In einem Seitenflügel der Botschaft hat das deutsch-deutsche Museum aus Mödlareuth eine Sonderausstellung aufgebaut, die eigens zum 20. Jahrestag der Botschaftsflucht konzipiert worden ist. Mit Fotos und alten Fernsehbildern wird darin an jene Wochen erinnert, die die deutsche Geschichte verändert haben.

Auf einem der Bilder ist eine Frau zu sehen, die gerade über den mannshohen Botschaftszaun klettert. Sie ist auch jetzt bei der Feierstunde dabei - und schüttelt ungläubig den Kopf: "Wenn ich mir heute den Zaun anschaue, dann frage ich mich, wie ich das geschafft habe", sagt sie: "Aber damals haben wir es einfach geschafft. Wir konnten ja nicht wieder zurück, wo wir das Ziel endlich so dicht vor Augen hatten!"


Am 30. September 1989 wurde in Prag ein Stück deutscher Geschichte geschrieben: "Liebe Landsleute", rief damals der Außenminister Hans-Dietrich Genscher vom Balkon der Botschaft aus zu den DDR-Flüchtlingen hinunter, "wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise" - weiter kam er nicht, so ohrenbetäubend war der Jubel der Tausenden, die unten im Park versammelt waren. Das Satzende "... in die Bundesrepublik Deutschland möglich geworden ist" war nicht mehr nötig. Diese Ereignis fiel in eine Zeit voller Spannungen, die DDR riegelte ihre Grenzen wegen der aufgeheizten Atmosphäre noch weiter ab. In die Tschechoslowakei allerdings durften die Bürger weiterhin ohne Visum einreisen - und das machten sich viele zunutze, die aus der DDR fliehen wollten. Der 30. September war somit ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Mauerfall.

epd