Bis zuletzt war Dorothee Sölle umstritten. Ihre Thesen und Auffassungen stießen nicht immer auf Gegenliebe. Trotzdem sie 1971 habilitierte und im Ausland Gastprofessuren übernahm, erhielt sie in Deutschland nie eine ordentliche Professur. Erst 1994 wurde sie zur Ehrenprofessorin der Universität Hamburg ernannt.
Geboren wurde Dorothee Sölle am 30. September 1929. Ihr Vater war der Arbeitsrechtler Hans Nipperdey. Zunächst studierte sie klassische Philologie und Philosophie, wechselte 1951 jedoch ihr Studienfach und wandte sich der Theologie und der Germanistik zu. Ein Theologiestudium war zu dieser Zeit für Frauen noch ungewöhnlich. Zumal Dorothee Sölle aus einem Elternhaus kam, das der Kirche distanziert gegenüber stand.
Was trieb sie zur Frage nach Gott? Dorothee Sölle dachte von Auschwitz her. Wie könne man angesichts von Auschwitz an einen allmächtigen Gott glauben? Das Bild von Gott, „der alles so herrlich regieret“, war ihrer Meinung nach überholt. Aber sie spürte ihr Leben lang dem Gott „in uns“ – wie ihn die Mystiker beschrieben – nach. Sie fand Gott in der Liebe, den gelungenen menschlichen Beziehungen. „Wenn wir in die Radikalität der Liebe einsteigen (…), dann erscheint in unseren alltäglichen Vollzügen, das, was wir ‚Gott’ nennen.“
Christliches Leben und politisches Handeln gehörten für Sölle zusammen
Für Dorothee Sölle gehörten christliche Lebensführung, Theologie und politisches Handeln zusammen. Sie engagierte sich für die feministische Theologie, die so genannte Dritte Welt, die Befreiungstheologie und in der Friedensbewegung. Fragen nach Gerechtigkeit und Frieden trieben sie um. Zuletzt engagierte sie sich noch gegen den Irak-Krieg.
1968, vor dem Hintergrund des Vietnam-Krieges, initiierte sie als Mitglied des ökumenischen Arbeitskreises Köln gemeinsam mit Fulbert Steffensky, Marie Veit, Heinrich Böll, Egbert Höflich, Michael Dohle und anderen auf dem Katholikentag einen politischen Gottesdienst. Die Verantwortlichen des Katholikentags setzten diesen jedoch auf 23 Uhr an, worauf die Gruppe die Veranstaltung „Politisches Nachtgebet“ nannte. In Folge fanden ab Oktober 1968 monatlich um 20.30 Uhr in der evangelischen Antoniterkirche in Köln „Politische Nachtgebete“ statt.
Auf der Suche nach der Gottespoesie
Doch Dorothee Sölle war nicht nur politische Theologin, sondern auch theologische Schriftstellerin. Sie suchte nach einer neuen, visionären und zukunftsweisenden Sprache für Theologie und Kirche – einer Art Gottespoesie. Dorothee Sölle ist noch heute eine der meist gelesenen theologischen Autorinnen und prägte die Frömmigkeit vieler Christinnen und Christen in Deutschland.
Am 27. April 2003 starb Dorothee Sölle. Sie war in erster Ehe mit dem Maler Dietrich Sölle, in zweiter Ehe mit dem ehemaligen Benediktinerpater Fulbert Steffensky verheiratet und hatte vier Töchter.
Im Rheinland erinnern anlässlich des 80. Geburtstages von Dorothee Sölle zahlreiche Gemeinden mit Veranstaltungen am 30. September an die Theologin. Unter anderem lädt die Antoniterkirche in Köln, die von 1968 bis 1972 Schauplatz der "Politischen Nachtgebete" war, zu einer langen Sölle-Nacht ein. Sölle-Biograf Ralph Ludwig spricht im Haus der Kirche in Essen. In Wuppertal-Unterbarmen widmet die "musikgruppe forum" der streitbaren Theologin eine Collage mit Gedichten, Liedern und Jazz.