Der tiefe Fall der SPD – und was die Bibel über das Scheitern sagt
Die SPD hat am Sonntag eine historische Niederlage erlitten und muss in die Opposition. Wie sollen die Genossen mit dem Scheitern umgehen, was sagt die Bibel dazu?
29.09.2009
Von Bernd Buchner

Kerstin Griese ist so geschockt, dass sie fast nichts sagen kann. Nicht nur, dass die Sozialdemokraten eine historische Niederlage erlitten haben und aus der Regierung gefallen sind. Am Montagmorgen um vier Uhr hat die bisherige kirchenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion zudem erfahren, dass sie selbst nicht mehr im Parlament sitzen wird. Ihr Direktmandat in Ratingen ist weg, über die Landesliste war sie nicht abgesichert. Wie es weitergeht? "Ich weiß es nicht", sagt die 42-Jährige tonlos.

Eine Partei liegt am Boden. 23 Prozent der Stimmen hat die SPD bei der Bundestagswahl erhalten, das schlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit. "Der Herr stürzt die Mächtigen vom Thron", heißt es im Lukasevangelium: Parteichef Franz Müntefering setzt sich voraussichtlich zur Ruhe, auch die Zweifel an Ex-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier als designiertem Oppositionsführer wachsen. Ein Blick in die Bibel hilft dem Calvinisten Steinmeier womöglich, mit der Erfahrung des Scheiterns besser umzugehen.

Die Erfahrung von 1982

Jürgen Schmude hat das schon hinter sich: Der SPD-Politiker war Bundesbildungsminister, als Kanzler Helmut Schmidt im Herbst 1982 durch Helmut Kohl (CDU) abgelöst wurde – die Sozialdemokraten mussten danach für 16 lange Jahre die Oppositionsbänke drücken. Doch Opposition ist für Schmude, der viele Jahre lang Synodenpräses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) war, keineswegs „Mist“, wie Müntefering sagte, sondern eine wichtige Aufgabe. "So ernst man diese Niederlage nehmen muss – die SPD ist nicht zerstört."

Aus christlicher Sicht sei das Scheitern eine "Chance, die Gott den Menschen gibt", unterstreicht Schmude. "Man soll sich nicht an Verluste hängen, als gebe es keine Zukunft." Die Bibel gehe in "unglaublicher Großzügigkeit und Einseitigkeit" mit Schwachen und Gefallenen um, so der SPD-Politiker, der aber vor überzogenen religiösen Vergleichen warnt ("Das dramatisiert die Lage"). Die Sozialdemokraten bräuchten Zeit, um mit dem Verlust fertig zu werden. "Aber das darf kein Lebensinhalt werden", unterstreicht der 73-Jährige.

Nicht mit der Abwertung als Person verbunden

Mit der Niederlage ehrlich umzugehen, rät auch der Bamberger Theologe und Psychologe Martin Weiß-Flache den politischen Verlierern vom Sonntag. Die Bibel mache deutlich, dass das Scheitern "nicht mit der Abwertung des Menschen als Person verbunden sein darf". Zugleich verweist er auf Passagen im Alten und Neuen Testament, die sich kritisch mit Macht auseinandersetzten. Politiker, sagt Weiß-Flache, hätten den "Vorzug und zugleich das Problem", mehr Einfluss und Gestaltungsmacht als andere zu haben.

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Ein Problem sieht der Theologe darin, dass sich Wohl und Wehe politischen Handelns in der Öffentlichkeit vollziehen. Auch das Scheitern geschehe vor aller Augen – und werde deshalb gerne weggeschoben. Politiker, so die Beobachtung von Weiß-Flache, "gestehen viel zu selten öffentlich ein, dass sie einen Fehler gemacht haben". Dabei liege im Scheitern durchaus auch eine Chance. Der SPD rät er, nun nicht in andauernde Selbstzerfleischung zu verfallen. "Vor allem das Einprügeln auf Personen wäre ungut."

"Großer Schock"

Kerstin Griese überwindet langsam ihre Sprachlosigkeit. "Es war ein großer Schock, ein großer Schrecken", sagt sie mit etwas gefestigterer Stimme. "Wir müssen versuchen, das aufzuarbeiten." Trotz ihres Ausscheidens aus dem Bundestag wird die studierte Historikerin und Politologin, die in der evangelischen Jugendarbeit aufgewachsen ist, nicht ins Bodenlose fallen. Trost kann sie aus der Bibel schöpfen: "Der Gerechte muss viel leiden", heißt es im zweiten Korintherbrief, "aber der Herr hilft ihm aus dem allem."