Bollmann: Schwarz-Gelb wird regieren in den kommenden vier Jahren. Frau Käßmann, sind Sie aus evangelischer Sicht zufrieden mit dem Wählervotum?
Käßmann: Also, ich bin zum einen zufrieden, weil ich sagen muss, 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges haben die Deutschen ganz klar demokratische Parteien gewählt und das ist ein gutes Signal. Was ich problematisch finde, ist, dass anscheinend weniger als drei Viertel der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger gewählt haben. Das kann ich einfach nicht verstehen, die demokratische Freiheit sollte man wahrnehmen.
Bollmann: Was kann man da tun, auch aus der evangelischen Kirche heraus vielleicht?
Käßmann: Ich denke, als evangelische Kirche können wir immer wieder sagen: Freiheit heißt auch: Freiheit, einen Standpunkt zu beziehen und zu wählen. Und wir sind mit allen politischen Parteien, die im Parlament vertreten sind, in gutem und manchmal auch kritischem Dialog. Aber sich zu entscheiden, sich zu interessieren, eine Position zu beziehen, Verantwortung zu übernehmen, das gehört zur Demokratie dazu.
Konstruktive Gespräche mit der FDP
Bollmann: Wenn wir mal thematisch werden: Mit der FDP wird das klimapolitisch jetzt etwas schwieriger, was die evangelische Kirche sich vorstellt?
Käßmann: Also meine letzten Gespräche mit der FDP, jedenfalls hier in Niedersachsen, waren durchaus konstruktiv, und ich hoffe, dass die FDP auch in den letzten Jahren gesehen hat, dass die christlichen Kirchen ein Teil derer sind, die in unserem Land wichtige Beiträge leisten, gerade im sozialen Bereich, und dass wir für die sozialen Fragen weiter einstehen werden als evangelische Kirche - da können Sie sich ganz sicher sein.
Bollmann: Die EKD hat ja ein wichtiges Wort gesprochen zur Wirtschafts- und Finanzkrise. Findet das Gehör bei den Schwarz-Gelben?
Käßmann: Bei kirchlichen Worten ist es ja oft so, dass alle sagen "gut gesprochen", aber die Konsequenzen wenig zu sehen sind. Ich denke, deshalb ist es wichtig zu sagen: Evangelische Christinnen und Christen gibt es in allen Parteien. Martin Luther hat gesagt, der Beruf ist auch eine Verantwortung als Christ im Alltag und wir werden uns bemühen, mit den Christinnen und Christen im Parlament im Gespräch zu sein, dass diese ihre Verantwortung wahrnehmen. Auch mit Blick auf das, was wir zur Finanzkrise gesagt haben, dass wir gesagt haben, es gibt Grenzen des Wachstum, es gibt auch eine Ethik des Genug, und damit wird umgegangen werden müssen.
Bollmann: Es gibt eine Erstarkung der Linken, 12,5 Prozent, wahrscheinlich ja wohl auf Kosten der Sozialdemokraten. Ist das ein Problem für die evangelische Kirche, die ja immer noch nicht vergessen hat, dass die SED es den Christinnen und Christen in der DDR nicht leicht gemacht hat?
Käßmann: Nicht leicht gemacht, denke ich, ist eine Untertreibung. Christinnen und Christen hatten es extrem schwer in der DDR, und gerade Pfarrersfamilien haben gelitten. Kinder, die zur Konfirmation gingen, hatten Probleme, überhaupt einen Ausbildungs- oder Studienplatz zu bekommen. Also darüber wird mit der Linken noch zu sprechen sein, und wir erwarten weiterhin, dass sich die Linke, wenn sie denn das Erbe antritt, dazu ganz glasklar äußert. Es gab eine Art von Christenverfolgung in der DDR, die für uns weiterhin problematisch ist und die nicht einfach aus dem Gedächtnis gelöscht werden kann. Trotzdem ist es eine gewählte Partei, und wir werden auch mit dieser Partei versuchen, ins Gespräch zu kommen.
"Gewisses Schmunzeln" über Piratenpartei
Bollmann: Frau Käßmann, was sagen Sie denn zu den geblähten Segeln der Piratenpartei, immerhin zwei Prozent?
Käßmann: Ich muss sagen, auf der einen Seite habe ich ein gewisses Schmunzeln, ich habe heute Morgen ein paar Punks getroffen beim Wählen, die auch sagten: "Piratenpartei-Freiheit!" Und ich habe versucht, mit denen ins Gespräch zu kommen. Einerseits finde ich so eine Form von kreativer Opposition auch fröhlich und der Demokratie angemessen. Allerdings: Was Kinderpornografie im Internet betrifft, da hört für mich jede Form des Verständnisses auf. Da bin ich dafür, dass es da ganz klare Grenzen gibt. Denn Kinderpornografie ist eine Menschenrechtsverletzung allerersten Ranges.
Bollmann: Freuen wir uns darüber, dass es weiterhin eine protestantische Kanzlerin gibt?
Käßmann: Ich bin nicht parteipolitisch gebunden. Ich wünsche mir, dass die Kanzlerin oder der Kanzler Christ oder Christin ist, weil der Mensch dann weiß, wo die stehen, die unser Land öffentlich vertreten. Aber natürlich, dass eine evangelische Pfarrerstochter Kanzlerin bleiben wird, darüber freue ich mich durchaus auch.
Bollmann: Eine letzte Frage noch an Sie, als Bischöfin vor allen Dingen. Gibt es aus Ihrem Amt heraus gute Wünsche an die Regierenden der kommenden Jahre?
Käßmann: Also ich wünsche ihnen zum einen Gottes Segen, zum anderen wünsche ich ihnen die Kraft, auch Entscheidungen zu treffen, die nicht beliebt sind. Wenn es Entscheidungen sind, die nachhaltig die Zukunft sichern, für die Generationen, die kommen. Denn ich denke, gerade in der Frage, was Klima beispielsweise betrifft, was Armutsbekämpfung betrifft, da wünsche ich Mut für Entscheidungen, die auch unpopulär sind. Und ich wünsche ihnen, dass sie sich verantworten können vor Gott und vor den Mitmenschen mit dem, was sie tun.