Stabile Verhältnisse mit einer Kanzlerin Merkel
Schwarz-Gelb gewinnt: Vor allem die FDP kann triumphieren. Viele Fragezeichen stehen über der Zukunft der Sozialdemokraten - aber auch die Kanzlerin wird nicht weitermachen können wie bisher.
27.09.2009
Von Arnd Brummer

Die Wählerinnen und Wähler haben Angela Merkel im Kanzleramt bestätigt, ihr aber einen neuen Partner gegeben. Eine leicht gezauste Union wird künftig zusammen mit einer FDP Deutschland regieren, die so stark ist wie nie in der bundesdeutschen Geschichte. Fast 15 Prozent hat der einst als "Spaßpolitiker" geschmähte Guido Westerwelle mit seinen Liberalen eingefahren. Die Größen der Liberalen, ob Scheel oder Genscher, kamen einst nie auch nur in die Nähe eines solchen Resultates.

Westerwelle hat das deutliche Plus für die FDP erreicht, weil er konsequent und ohne Wackeln auf Schwarz-Gelb beharrte, selbst als die Mehrheit für ein bürgerliches Bündnis außer Reichweite zu geraten schien. Für Angela Merkel, die mit der Union das zweitschlechteste Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik hinnehmen musste, ist das ein äußerst zwiespältiger Wahlausgang. Einerseits muss die Kanzlerin in der "bürgerlichen Koalition" mit der FDP weniger inhaltliche Rücksicht nehmen als gegenüber der Sozialdemokratie.

Merkel kann präsidiale Rolle nicht weiterspielen

Andererseits kann sie jedoch ihre Rolle als präsidial über den Parteien agierende Regierungschefin nicht mehr weiter spielen. Ihre Freunde und Gegner in der eigenen Partei erwarten jetzt "Union pur" von Merkel. Ob dies aber ihrer Vorstellung von Führen und Gestalten entspricht, ist mehr als fraglich. Die noch nicht ausgestandene Krise der Wirtschaft, die gigantische Staatsverschuldung und andererseits die klaren Bekenntnisse von FDP und CSU zu Steuersenkungen in den kommenden Jahren sorgen für ein endgültig spannendes Szenario.

Bestätigt aus der Wahl gehen Oskar Lafontaine und seine Linke hervor. Sie haben in Ost und West mit einem sozialpopulistischen Konzept kräftig zugelegt. Auch die Grünen müssen nicht ganz unzufrieden sein. Zwar haben sie keines ihrer maßgeblichen Wahlziele erreicht (als dritte Kraft Schwarz-Gelb verhindern). Sie wurden zwar nur fünftstärkste Partei, immerhin aber mit einem erstmalig zweistelligen Resultat. (Aktuelle Zahlen und die Sitzverteilung finden Sie im evangelisch.de-Wahlcenter.)

Der SPD droht eine Zerreißprobe

Die große Verliererin der Bundestagswahl ist die SPD. Und dies nicht nur angesichts eines desaströsen Einbruchs bei den Stimmanteilen von über elf Prozent. Vor allem die Perspektive für die nächsten vier Jahre muss bei der 146 Jahre alten, traditionsreichsten Partei Deutschlands blankes Entsetzen auslösen. Schlimm genug, auf den Oppositionsbänken Platz nehmen zu müssen. Noch schlimmer aber: Seit' an Seit' mit dem früheren Genossen Lafontaine, dessen einziges Ziel es sein wird, die Sozialdemokraten in einen Überbietungswettstreit populistischer Maximal-Parolen zu treiben.

Das werden gestandene Vertreter einer rationalen, verantwortungsvollen Politik vom Schlage Peer Steinbrücks oder Frank-Walter Steinmeiers kaum mitmachen können. Die SPD steht entweder vor einer Zerreißprobe oder sie wird sich ganz neu erfinden müssen. Letzteres wird jedoch fast noch schwerer sein, als neben den Linkspopulisten zu bestehen.

Oppositionsführer müsste anderer Typ als Steinmeier sein

Die SPD hat in Bund und Ländern keine erkennbare Identifikationsfigur mit Strahlkraft in den Reihen der unter 50-Jährigen. Ihre Personalreserve ist fast vollständig aufgezehrt. Dass Steinmeier sich noch am Wahlabend bereit erklärt hat, den Fraktionsvorsitz im Bundestag zu übernehmen, zeigt das ganze Ausmaß des Dilemmas. Eigentlich hätte er, der für das schlechteste SPD-Ergebnis der bundesdeutschen Geschichte steht, zumindest eine Denkpause einlegen müssen. Aber außer dem fast 70-jährigen Franz Müntefering, den früh verbrauchten, in die Regionalpolitik zurückgekehrten Kurt Beck und Matthias Platzeck und der kaum mehrheitsfähigen Andrea Nahles ist da niemand, der hätte übernehmen können. Also muss die Partei Steinmeier dankbar sein, dass er sie in die Opposition führt.

Trotzdem wird Steinmeier als Fraktionsvorsitzender eine Übergangslösung bleiben müssen, wenn man der SPD eine Zukunft wünscht. Dann braucht sie nämlich gerade in der Opposition einen ganz anderen Typ an der Spitze als den gouvernementalen Steinmeier mit dem Geruch eines Karrierebeamten: Dann braucht sie einen charismatischen Anführer - jemanden zwischen Obama und Lafontaine. Zumal letzterer alles versuchen wird, die SPD zu einer ausschließlich geschichtlichen Größe ohne Zukunft zu machen.

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Parteistrategen gefordert

Fast dreißig Prozent der Deutschen scheint die neue Konstellation nicht wichtig genug gewesen zu sein, um sie mit ihrer Stimme zu vereiteln oder zu stärken. Die schlechteste Beteiligung aller Zeiten bei einer Bundestagswahl ist die größte Herausforderung für die Analytiker in den Parteizentralen. Wer es schafft, die Wahlmüden in vier Jahren an die Urnen zu locken, dem winken rosige Zeiten.

Ein Schock aber ist die nur knapp über 70 Prozent liegende Wahlbeteiligung längst für niemanden mehr. In einer stabilen Demokratie kann man es getrost als normal bezeichnen, wenn jene ohne Gang zum Wahllokal achselzuckend ins Wochenende fahren, denen es egal ist, wie es weitergeht.