Wahlsieg für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Triumph für FDP-Chef Guido Westerwelle: Ein sensationelles FDP-Ergebnis bei der Bundestagswahl am Sonntag sichert Merkel trotz des schlechtesten Abschneidens der Union seit 60 Jahren das Bündnis mit ihrem Wunschpartner. Nach vier Jahren großer Koalition wird Deutschland künftig erstmals seit 1998 wieder schwarz-gelb regiert. Die SPD mit Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier erlebt ein beispielloses Debakel und muss nach elf Jahren an der Macht zurück in die Opposition.
Zügige Koalitionsverhandlungen angekündigt
Merkel und Westerwelle kündigten am Wahlabend zügige Koalitionsverhandlungen an. Merkel ging von strittigen Koalitionsverhandlungen mit der FDP aus. "Wir werden über einige Punkte natürlich auch streiten müssen", sagte sie in der "Berliner Runde" von ARD und ZDF. Sie wolle aber "schnell und zügig verhandeln". Merkel und Westerwelle kündigten an, ihre Wahlprogramme, die zum Beispiel in der Frage des Umfangs von Steuersenkungen kontrovers sind, durchsetzen zu wollen. Westerwelle wertete das FDP-Abschneiden als "herausragend". Dieses bedeute aber auch Verantwortung. "Wir wollen jetzt Deutschland mitregieren." Notwendig seien eine faires Steuersystem, bessere Bildungschancen und die Respektierung der Bürgerrechte.
Mit Überhangmandaten wurde für Schwarz-Gelb eine klare Parlamentsmehrheit von 320 bis 323 Sitzen vorhergesagt. Rot-Rot-Grün kommt demnach auf 291 bis 296 Mandate. Die SPD mit Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier fuhr das schlechteste Ergebnis seit 1949 ein. Sie muss nach elf Jahren an der Regierung in die Opposition.
Bestes FDP-Ergebnis der Geschichte
Die FDP unter ihrem Vorsitzenden Guido Westerwelle holte das beste Ergebnis ihrer Geschichte und kann erstmals seit 1998 wieder mitregieren. Grüne und Linke erzielten ebenfalls zweistellige Rekordergebnisse, können angesichts der höchsten Verluste der SPD bei einer Bundestagswahl Schwarz-Gelb aber nicht verhindern. CDU-Chefin Merkel wurde als sechster Regierungschef nach Konrad Adenauer (CDU), Willy Brandt, Helmut Schmidt (beide SPD), Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) im Amt bestätigt. Die Union konnte aber nicht von den hohen Popularitätswerten der Kanzlerin profitieren und erreichte nur das schlechteste Ergebnis seit 60 Jahren.
Mit großem Jubel und Applaus wurde Kanzlerin Angela Merkel bei der Wahlparty der CDU im Konrad-Adenhauer-Haus empfangen. Das Wahlziel sei erreicht, es gebe eine neue stabile Mehrheit in Deutschland. "Mein Verständnis war es und ist es, dass ich die Kanzlerin aller Deutschen sein möchte, gerade in einer solchen Krise", so Merkel. Merkel sieht allen Grund zum Feiern, mahnt aber: "Schnell wartet wieder Arbeit auf uns." Der Anspruch laute, Volkspartei zu bleiben. Daran will Merkel auch im 21. Jahrhundert arbeiten. Während ihrer Ansprache wurde Merkel immer wieder von "Angie, Angie"-Rufen unterbrochen.
Nach den Hochrechnungen von ARD und ZDF kam die CDU/CSU auf 33,4 bis 33,5 Prozent (2005: 35,2), die SPD auf 22,7 bis 23,3 (34,2) und die FDP auf 14,6 bis 14,8 Prozent (9,8). Die Grünen erreichten 10 bis 10,6 Prozent (8,1), die Linken 12,5 bis 12,9 Prozent (8,7). Bei der Wahlbeteiligung zeichnete sich nach dem Negativrekord von 77,7 Prozent vor vier Jahren ein weiterer Rückgang ab. Alle Ergebnisse im Überblick gibt's hier im evangelisch.de-Wahlcenter.
Die Hochrechnungen bedeuten für die CDU/CSU 229 bis 230 Sitze (2005: 226) und für die SPD 146 bis 147 Sitze (222) im neuen Bundestag. Die FDP kann mit 93 bis 94 Mandaten (61) rechnen, die Grünen mit 64 bis 67 Mandaten (51) und die Linke mit 78 bis 80 Mandaten (54).
Steinmeier: Schwerer Tag für Sozialdemokratie
Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) wertete das Wahlergebnis für die CDU/CSU als Erfolg. "Wir wollten raus aus der großen Koalition und wir wollten eine Koalition der Mitte", sagte er in der ARD. Das sei nun voraussichtlich gelungen. Es sei "ein gutes Ergebnis" für das Land.
SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier räumte die Niederlage seiner Partei ein und sprach von einem schweren Tag für die Sozialdemokratie. Er will jedoch trotzdem Oppositionsführer werden: "Ich habe diese Verantwortung als Spitzenkandidat gern getragen, und deshalb sage ich gerade an diesem bitteren Abend: Ich werde aus der Verantwortung nicht fliehen", sagte der Außenminister am Sonntagabend in Berlin. Schon am Dienstag soll der geschlagene Kandidat als Vorsitzender der SPD-Fraktion Peter Struck ablösen, der aufs politische Altenteil wechselt. Im November wählen die Sozialdemokraten auf einem Parteitag ihren Vorstand neu, nicht ausgeschlossen, dass Müntefering seinen Abschied als Parteichef nimmt.
Insgesamt waren am Sonntag 62,2 Millionen Bundesbürger zur Wahl aufgerufen. Für die 598 Sitze im Bundestag, die durch Überhangmandate zunehmen können, bewarben sich 3556 Kandidaten. Zugelassen waren 27 Parteien. Angesichts von 20 bis 30 Prozent unentschlossenen Wählern hatten die Parteien bis zuletzt um ihre Gunst gebuhlt.
EKD über geringe Wahlbeteiligung besorgt
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sieht mit Sorge die geringe Beteiligung bei der Bundestagswahl. Die Kirche dürfe es künftig nicht mehr bei allgemeinen Wahlaufrufen belassen. Sie solle Menschen auch zur Parteipolitik ermutigen, sagte der EKD-Vertreter bei der Bundesregierung, Prälat Bernhard Felmberg, am Sonntagabend in Berlin. Er forderte im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Christen müssen stärker in Parteien gehen."
Der Wechsel von der großen Koalition zu einem schwarz-gelben Regierungsbündnis ist nach Felmbergs Worten für die EKD eine Chance und Herausforderung zugleich. In Bürgerrechtsfragen wie bei der umstrittenen Visa- und Einladungsdatei für Ausländer habe es schon bisher eine Nähe zu Positionen der Freien Demokraten gegeben. "Andere politische Fragen sind schwerer handhabbar", sagte der Prälat. In der vergangenen Legislaturperiode waren unter anderem in der Bioethik unterschiedliche Auffassungen zwischen EKD und FDP zutage getreten.
Der EKD-Repräsentant in der Bundeshauptstadt äußerte sich erstaunt über das schlechte Abschneiden der SPD. Viele Abgeordnete, die nun nicht mehr in den Bundestag einzögen, hätten in ihrer parlamentarischen Arbeit Positionen der Kirche vertreten.