[linkbox:nid=3056,2554,3062,3073,3078,3092,3085,3084,3103,3105;title=So waehlt Deutschland ]
Peter Herrmann (63) hat eine laute Stimme. Die braucht er auch, denn der Wahlhelfer und Patientenbetreuer geht am Sonntag mit der mobilen Wahlurne im Alten- und Pflegezentrum Friedehorst in Bremen von Krankenbett zu Krankenbett - wie viele ehrenamtliche Wahlhelfer in Alteneinrichtungen überall inder Republik. "Bei den meisten klappt das mit dem Hören nicht mehr so gut." Rund 200 Mal fragt er laut und höflich: "Guten Tag, heute ist Bundestagswahl. Möchten Sie wählen?"
"Ach, das weiß ich gar nicht"
Die Reaktionen der alten Menschen sind unterschiedlich. Gretchen Müller (Namen aller Bewohner geändert) freut sich, als sie den Betreuer sieht. Ja, natürlich wolle sie wählen, aber er müsse "mal eben" für sie das Kreuz machen, sagt die 82-jährige demenzkranke Dame. Für welche Partei denn? "Ach, das weiß ich gar nicht." Die beiden einigen sich darauf, bei dieser Bundestagswahl ausnahmsweise einmal auf die Stimmabgabe zu verzichten.
Von den etwa 62,2 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland leiden nach Informationen der Deutschen Alzheimergesellschaft mit Sitz in Berlin rund 1,1 Millionen Menschen an Demenz. Bei ihnen verschlechterten sich die Gedächtnisleistung, das Denkvermögen und die Urteilsfähigkeit. Doch für den Gesetzgeber ist das kein Grund, Menschen von der Wahl auszuschließen. "Wird für einen dementen Menschen kein gesetzlicher Betreuer bestimmt, der alle Angelegenheiten regeln soll, bleibt das Wahlrecht bestehen", sagt ein Sprecher des Bundeswahlleiters. Wichtig sei, dass die Wählenden ihre Stimme selbstbestimmt abgeben. Ein Stellvertreterwahlrecht gibt es in Deutschland nicht: "Das wäre Wahlfälschung und kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden."
Nicht ohne Kaffee und Kuchen
In Friedehorst ist Peter Herrmann mittlerweile in einem Zimmer mit zwei Frauen angekommen. Die beiden sitzen am Tisch und warten. Auf die Frage, ob sie wählen wollen, antwortet die Jüngere mit bestimmter Stimme: "Wir haben aber noch keinen Kaffee und Kuchen bekommen." Peter Herrmann kann mit seiner Anfrage nicht zu den Frauen durchdringen, darum wandern auch ihre Wahlscheine in einen großen Karton zu den nicht abgegebenen Stimmen.
Ein blinder Bewohner lässt sich dagegen von Herrmann im Beisein von Wahlhelferin Jutta Rippe die Parteien auf der Liste vorlesen. Er wolle beide Stimmen an die Grünen geben, sagt der Bewohner. Sanft führt Herrmann die Hand des Blinden, damit er an der richtigen Stelle sein Kreuz machen kann. Jutta Rippe kontrolliert und bestätigt. Wahlassistenz ist in solchen Fällen unter der Bedingung erlaubt, dass mindestens zwei Wahlhelfer im Raum sind. Karla Schmieder will hingegen ganz bewusst nicht mehr wählen: "Was heute entschieden wird, müssen die jüngeren Generationen ausbaden, damit habe ich nichts mehr zu tun", sagt die über 90-Jährige.