Meine Woche vom 20. bis 26.9.2009
Sonntag
Na toll. Am Sonntag abend schaltet mein 12-jähriger Sohn seinen I-pod-touch an, er will nur mal kurz Nachrichten checken auf seinem kleinen Lieblings-Spielzeug. Top-Meldung: "Neues Droh-Video von Al Quaida". Komische Märchenstunde. Eigentlich wollten wir heute abend gemütlich das sonnige Wochenende ausklingen lassen. Jetzt hocken wir zu dritt vor dem Mini-Bildschirm und staunen, wie ein höflicher junger Deutsch-Marokkaner im zu großen Konfirmandenanzug und Gel in den Haaren erst ein kleines Wichtigtuer-Seminar abhält in Sachen bundesdeutscher Demokratie, von Adenauer bis Merkel. Dann aber akzentfrei ankündigt, demnächst eine größere Menschenansammlung in die Luft zu jagen. Zum Beispiel an einem Bahnhof. Aber auf keinen Fall in Kiel. Aha. Das ist jetzt blöd, ich muss morgen früh wieder von Köln nach Frankfurt mit dem ICE. Beide Kinder können nicht einschlafen, Angst um Mama. Danke, Apple, nächsten Sonntag bleibt der I Pod aus. Dann lieber Star Wars auf Pro 7. Macht zwar auch krachbummboing, aber das verkraften moderne Kinder.
Montag
Soll ich jetzt doch Angst kriegen? Am Montag früh zuckelt der ICE am Kölner Bahnhof auf die Hohenzollernbrücke, und da stehen tatsächlich Spezialeinheiten der Bundespolizei mit kugelsicherer Weste und Waffe. Soll ich morgen doch einen Home Office Tag einlegen? Mit dem Auto fahren? Einen Job in Kiel suchen? Nix da, genau das wollen sie ja, die Terroristen. Unsere Freiheit einschränken. Ich bin berufstätige Mutter. Ich arbeite bei einem christlichen Magazin. Ich fahre kreuz und quer durch die Republik – viele Dornen im Augen von militanten Moslems. No surrender, ich fahre weiter Zug.
Dienstag
Aua. Auf der Schnellbahnstrecke kurz vor Limburg fällt mir ein Mann, hochgewachsen, mit einem Laptop, scharfkantig, auf den Schoß. Ich erschrecke, er erschrickt. Und sagt, während er noch auf meiner zerknitterten Süddeutschen Zeitung liegt, nur ein Wort: "Scheißbahn". Ich halte ihn eine Sekunde an den Armen fest, gucke ihm in die Augen und sage automatisch, als wärs einer meiner Söhne: "Wie sagt man?" "Tschuldigung", knirscht er unwillig. Erst bin ich mir selber peinlich, was spiele ich mich hier als Erziehungsberechtigte im Großraumwagen auf. Dann muss ich lachen. Da hat man Angst vor den Geschossen von Al Quaida, und dann wird man von einem schlecht erzogenen Außendienstler aus Montabaur erschlagen. Die Gefahr liegt doch mehr im Inneren.
Mittwoch
Keine Polizei mehr am Bahnhof, und auch die Zeitungen machen wieder News-Business as usual. Endspurt im Wahlkampf, Steinmeier so erkältet und heiser wie meine Mitreisenden im ICE. Alles hustet. Die verbrauchte Luft im Zug vermischt sich mit dem Duft von Salbeibonbons. In Thüringen haben sie immer noch keine Regierung. Althaus gegen Ramelow gegen Matschie, und warum eigentlich nicht EKD-Präses Katrin Göring-Eckard von den Grünen. "Das ist ja hier wie auf dem Bazar", schimpft SPD-Vize Heike Taubert. Da hat sie recht, und das Gefühl hat man als deutsche Staatsbürgerin ja neuerdings öfter: Dass gedealt wird wie auf dem Bazar. "Ich habe ja jetzt ein paar Sachen bei Ihnen rausgeholt", sagt mir neulich die Finanzbeamtin bei einer Steuerprüfung, "ich geb dann jetzt mal nach." Hm, ob das die westliche Demokratie ist, die wir von ganzem Herzen verteidigen? Gegen die aus den echten Bazarstaaten?
Donnerstag
Wow, die Bildzeitung am Bahnhofskiosk meldet: Der Lotto-Jackpot ist geknackt. Und die USA haben eine Reisewarnung heraus gegeben für Deutschland, lieber nicht Zug fahren. Ich überlege, welche Chance statistisch höher ist: 6 Richtige im Lotto? Oder von Al Quaida in die Luft gesprengt werden? Abends auf der Rückfahrt im Zug gibt es die Abendausgabe des Handelsblatts. Da steht das genauer mit der Reisewarnung: In den USA warnen sie auch vor Reisen nach Ostdeutschland, wegen der Gefahr von Skinheads erschlagen zu werden. Skinheads wiederum hauen besonders gerne auf Menschen ausländischer Herkunft. Und die tun einem jetzt wirklich leid, wenn sie Zug fahren und irgendwie muslimisch aussehen. Keiner will mit ihnen im Abteil sitzen. Das hat er prima hingekriegt, der gegelte Herr Harrach mit seinem Video.
Freitag
Heute wieder Bundespolizei am Bahnhof. Im Goldbären-Laden in der Ladengalerie. So ein Polizist ist ja auch nur ein Mensch, kommt wahrscheinlich aus Koblenz oder Pirmasens oder Ahrweiler und will seinem Kind heute abend aus der großen Stadt was mit bringen. Oder so. Jedenfalls scheint die Sonne, es ist bald Wochenende und, hurra, wir leben noch. Am Sonntag ist Bundestagswahl, und – egal was man vom Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr hält. Natürlich darf weder Steinmeier noch Merkel sich einschüchtern lassen von Drohungen. Und wenn die Elefantenrunde am Sonntagabend zu langweilig wird, schalten wir um auf Pro 7. Möge die Macht mit uns sein.
Über die Autorin:
Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de